Die Anwälte hinter Zschäpe: Hermann Borchert (li.) und Mathias Grasel Foto: dpa Pool

Im Münchner NSU-Prozess hat Beate Zschäpe ihr Schweigen gebrochen und genau das gemacht, was viele Angeklagte tun: Sie redet ihre Anteile an den Taten klein, schiebt Schuld auf andere und wirbt um Verständnis – eine clevere Strategie?

München - Noch während die Angeklagte sich dem Staatsschutzsenat des Münchener Oberlandesgerichtes erklärte, war bei etlichen Juristen das Urteil schon gefallen: Mit ihrer Aussage, so die weitverbreitete Meinung, habe sich Beate Zschäpe geschadet. Die mutmaßliche Rechtsterroristin erwarte nun außer lebenslanger Haft die anschließende Sicherheitsverwahrung, weil die Richter gar nicht anders könnten, als die besondere Schwere der Schuld festzustellen.

Denn Zschäpe soll als Mitglied des rechtsradikalen Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zehn Menschen erschossen, 15 Raubüberfälle begangen, drei Bomben platziert, ein Haus in Brand gesetzt und dabei billigend den Tod einer alten Frau in Kauf genommen haben. So klagen es die Staatsanwälte der Bundesanwaltschaft an.

Zschäpe hatte ihren Vertrauensverteidiger Mathias Grasel vorlesen lassen, was sie – zumindest zuerst einmal – zu diesen Vorwürfen zu sagen hat: Die Morde hätten ihre – 2011 mutmaßlich durch Selbstmord – verstorbenen Kumpane Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos verübt. Die 40-Jährige will erst jeweils später ebenso von den Bluttaten und den Raubüberfällen erfahren haben. Sie habe gegen die Erschießungen bei ihren Mittätern protestiert, zeitweise sogar mit dem Gedanken gespielt, sich der Polizei zu stellen. Der Tenor von Zschäpes Aussage: Das Haus habe ich abgefackelt, mit dem Rest habe ich nichts zu tun – nur im Nachhinein gewusst.

Verfehlte Defensivstrategie

Ein Strafverteidiger, räumten selbst Opferanwälte später hinter vorgehaltener Hand ein, „muss eines im Blick haben: Er muss seinem Mandanten den Kopf aus der Schlinge ziehen. Er und die Angeklagte haben nicht für den Seelenfrieden von Opfern, Hinterbliebenen oder der Gesellschaft zu sorgen.“

Vor diesem Hintergrund gewinnt ein Antrag Zschäpes Gewicht, den Grasel nach der Erklärung verlas – und der im Trubel der Aussage zunächst unterging. Der Jurist, erst seit diesem Sommer zum Pflichtverteidiger der Jenaerin bestellt, trug vor, Zschäpes „Alt“-Advokaten Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm hätten der Angeklagten durch ihre bisherige Schweigestrategie bewusst geschadet. Zumal Zschäpe sich ja auch – wie es eine Aktennotiz der Polizei belegt – in Jena den Ermittlern gestellt hätte, um auszusagen. Diese verfehlte Defensivstrategie begründe, das Juristentrio von seinem Auftrag zu entbinden, Zschäpe künftig zu verteidigen.

Taktisch kluger Schachzug

Ein taktisch kluger Schachzug, argumentieren prozessbeobachtende Juristen. Denn: Löse der Vorsitzende Richter Manfred Götzl die Anwälte Heer, Stahl und Sturm ab, schaffe er damit möglicherweise einen Revisionsgrund. Liefere also ein Argument, mit dem Richter des Bundesgerichtshofs anordnen könnten, den Prozess von vorne zu beginnen. Denn: Zschäpe könnte geltend machen, sie sei nicht sachgerecht verteidigt worden. Schließlich habe ihr neues Anwaltsteam so gut wie keine Zeit gehabt, um sich in das Verfahren einzuarbeiten. Das hatte schon zwei Jahre vor ihrer Bestellung begonnen. Grasel wirft Heer, Stahl und Sturm vor, ihn nur unvollständig über das informiert zu haben, was in den 25 Monaten zuvor im Gerichtssaal geschah.

Auch die Alternative Götzls, die „Alt“- Verteidiger im Amt zu belassen, könnten einen Revisionsgrund darstellen. Zschäpe würdigt Heer, Stahl und Sturm keines Blickes mehr, seit sie sich im Sommer vergangenen Jahres mit ihnen überwarf. Geschweige, dass sie mit den dreien kommuniziert. Die Aussage der Angeklagten macht deutlich: Ich wollte immer reden, wurde aber von meinen Verteidigern zum Schweigen gezwungen. Ob unter diesen Umständen ihre „sachgerechte Verteidigung“ durch ihre inzwischen zu einem Quintett angewachsenen Juristenrunde möglich ist, kann zumindest bezweifelt werden. Für Götzl – so scheint es – eine Wahl zwischen Pest und Cholera.

Zumal Zschäpes Aussage in vielen Punkten vage blieb und damit Fragen geradezu anschürte: Wer waren ihre Unterstützer? Gab es ein Netzwerk, das dem NSU-Trio bei seinen Morden und Überfällen half? Gab es – über die zahlreichen Verfassungsschutzinformanten in ihrem Umfeld – Kontakte zu den Geheimdiensten? Fragen, die – nach Zschäpes Willen – jetzt Richter, Staatsanwälte und die Verteidiger ihrer Mitangeklagten stellen dürften. Kaum zu glauben, dass die Rechtsextremistin auf diese sehr konkreten Fragen derart vage und rührselig antwortet, wie sie ihre Erklärung formulierte.

Antwortet Zschäpe bald selbst?

Die könnte eine Tür geöffnet haben. Nicht in diesem Verfahren vor dem Münchener Oberlandesgericht. Aber in einem möglichen weiteren vor dem Bundesgerichtshof. Das wäre ganz nach dem Geschmack von Rolf Bossi. Der Münchener Starverteidiger sagte einmal, ein Fußballspiel ende, wenn der Schiedsrichter pfeife. Und ein Strafverfahren endet vor dem Bundesgerichtshof. Nebenbei war Bossi auch Lehrmeister von Zschäpes neuem Wahlverteidiger Hermann Borchert.

Unklar ist nach dem Verlesen von Zschäpes schriftlicher Aussage noch, ob die mutmaßliche Rechtsterroristin auf einige Fragen doch mündlich antworten wird. Das hatte Richter Götzl angeregt. Man habe mit der Mandantin aber noch nicht darüber gesprochen, sagte Borchert am Donnerstag. Ursprünglich hatte Grasel erklärt, die 40-Jährige werde sich auch auf Nachfragen nur schriftlich äußern.

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