Der Rechtsextremist Carsten S. sollte als Spitzel für die ostdeutschen Geheimen angeworben werden. Foto: dpa

Thüringens Verfassungsschützer belegten 2001 mit dem Decknamen „Delhi“ eine ihrer geheimen Operationen. Deren Ziel: Der Rechtsextremist Carsten S. sollte als Spitzel für die ostdeutschen Geheimen angeworben werden.

München - Neu-Delhi ist nicht nur die Hauptstadt Indiens. Thüringens Verfassungsschützer belegten 2001 mit dem Decknamen „Delhi“ eine ihrer geheimen Operationen. Deren Ziel: Der Rechtsextremist Carsten S. sollte als Spitzel für die ostdeutschen Geheimen angeworben werden. Mit viel Fantasie wollten die Verantwortlichen des Nachrichtendienstes die Identität ihres ausgewählten Informanten mit dessen Geburtsort verschleiern.

In dem sogenannten Forschungs- und Werbungsvorgang sollte mit Carsten S. ausgerechnet einer jener Beschuldigten für den Schnüffeldienst rekrutiert werden, der sich seit Mai vor dem Münchener Oberlandesgericht zusammen mit der mutmaßlichen Rechtsterroristin Beate Zschäpe verantworten muss. S. soll – sind die Ankläger überzeugt – Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im Winter 2000 jene Ceska-83-Pistole samt Schalldämpfer übergeben haben, mit der acht türkischstämmige und ein in Griechenland geborener Kleinunternehmer zwischen 2000 und 2006 erschossen wurden.

Vor zwölf Jahren, beteuert S. vor den Münchener Richtern, habe er begonnen, sich aus der rechtsextremen Szene zu lösen. Der Angeklagte gilt als Kronzeuge der Bundesanwaltschaft im NSU-Verfahren. An seiner Glaubwürdigkeit zweifeln nicht nur die Verteidiger seiner Mitangeklagten Zschäpe und Ralf Wohlleben, sondern auch zunehmend Anwälte der Nebenkläger.

Nicht vermerkt, ob Anmerkung erfolgreich war

Die jetzt in Thüringen gefundenen, bislang unbekannten „Anwerbungsbögen“ könnten die Glaubwürdigkeit von S. weiter erschüttern. Die durch Recherchen von Reportern des Mitteldeutschen Rundfunks bekanntgewordenen Schriftstücke belegen, dass Thüringens Verfassungsschützer Carsten S. 2001 in Jena mehrere Tage lang überwachten. Dies ist ein übliches Vorgehen: Potenzielle V-Leute werden vor der eigentlichen Anwerbung eine Zeit lang beobachtet.

In den Papieren vermerkten die Geheimen nicht, ob die Anwerbung erfolgreich war. Am 10. Juni hatte einer der Juristen der Nebenkläger Carsten S. ausdrücklich gefragt, ob er einmal eine Verpflichtungserklärung für einen Nachrichtendienst unterschrieben habe. Der Beschuldigte hatte damals ausweichend geantwortet, dass er „daran keine Erinnerung“ habe. Als der Anwalt nachhakte, räumte S. ein, einmal „eine Verpflichtungserklärung bei der Polizei“ unterschrieben zu haben. An mehr könne er sich aber wirklich nicht erinnern.

Problematisch ist: Die Tatwaffe Ceska 83 will S. 2000 im Café der Galeria Kaufhof in Chemnitz an den NSU übergeben haben. Das Kaufhaus wurde jedoch erst im November 2001 eröffnet. Der Verteidiger von S., Johannes Pausch, beteuert, dass sein Mandant „nie Kontakt zum thüringischen Verfassungsschutz“ gehabt hätte. Er könne sich nicht erklären, wie Unterlagen, die einen solchen Schluss zulassen, entstanden seien.