Andreas T. will von der Bluttat in Kassel nichts mitbekommen haben. So die bislang offizielle Version. Eine, die die Anwälte des türkischen Internetbetreibers bezweifeln.

München - Andreas T.. Immer wieder geht es um T. Sekunden bevor Halit Yozgat am 4. April 2006 in Kassel erschossen wurde, verließ der Mitarbeiter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz den Tatort. Der erfahrene Führer von Spitzeln der Geheimen will von der Bluttat nichts mitbekommen haben. So die bislang offizielle Version. Eine, die die Anwälte des türkischen Internetbetreibers bezweifeln.

Deshalb wollen die Juristen der Hinterbliebenen, dass sich die Richter jene Akten zum Verfassungsschützer Andreas T. in das Münchener Oberlandesgericht liefern lassen, die bislang bei der Bundesanwaltschaft unter Verschluss gehalten werden. Zudem wollen die Anwälte Polizeibeamte und Verfassungsschützer als Zeugen geladen wissen. Denn der V-Mann-Führer galt den Kasseler Ermittlern lange Zeit als Hauptverdächtiger in dem Mordfall, der heute den mutmaßlichen Rechtsterroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zur Last gelegt wird. Zweifel an der Unschuld des Geheimdienstmannes haben die Ermittler heute noch.

So schrieb der bis zum Auffliegen des NSU ermittelnde Kassler Staatsanwalt in einen Vermerk für die jetzt zuständigen Bundesanwälte: "Nach dem Auffinden der Tatwaffe der so genannten 'Ceska-Mordserie' in der Zwickauer Wohnung von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe sowie deren Mitgliedschaft in einer rechten Vereinigung ist die Tat unter Berücksichtigung der Erkenntnisse neu zu bewerten. Soweit ersichtlich ist hier einziger Anknüpfungspunkt die Spur T.."

Von den Schüssen auf Halit Yozgat will der Agent nichts mitbekommen haben

Ein Blick in die vertraulichen Akten zeigt, dass diese Zweifel berechtigt sind. Von den Schüssen auf Halit Yozgat will der Agent nichts mitbekommen haben. Deshalb, sagte er vor einigen Wochen bei seiner ersten Vernehmung durch Richter Manfred Götzel, habe er sich auch nicht bei der Polizei gemeldet, als die Zeugen für die Bluttat suchte. Er habe, behauptete T., vergessen, dass er zur Tatzeit im Internet-Café Yozgat war und die Seite eine Online-Flirtdienstes aufsuchte, um Frauen kennenzulernen.

Erst fünf Tage später sei ihm am Sonntag bei einem Blick in eine Kassler Sonntagszeitung bewusst geworden, dass er in dem Internet-Café war, in dem war kurz bevor Yozgat dort erschossen wurde: "Ich war aufgewühlt, weil ich dachte, du kennst das Café, da warst du doch", sagte T. in seiner Vernehmung. Allerdings habe er da noch geglaubt, er sei am Tag vor der Bluttat in dem Computerladen gewesen. Das habe er mit Hilfe seiner Stempelkarte auch rekonstruiert.

24 Stunden später war der Agent schon über Details nicht nur des Mordes an Halit Yozgat sondern auch der anderen Morde informiert: Einer Kollegin berichtete er, "dass der Mord offensichtlich keinen regionalen Bezug" hätte, da die Mordwaffe, eine tschechische Ceska-Pistole, bereits bei mehreren Taten in Deutschland verwendet worden sei. Informationen, die zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht in der Öffentlichkeit waren. Seiner Kollegin tischte T. zudem die Lüge auf, er kenne weder das Mordopfer noch das Internet-Café der Yozgats.

Vertrautheit zwischen Andreas T. und Benjamin G.

Brisant auch: Noch in der Hauptverhandlung vor dem OLG München gab der inzwischen versetzte Agent am 1. Oktober an, er habe keine Erinnerung mehr an ein Treffen mit der von ihm geführten, rechtsextremen Quelle Benjamin G. Seinen Informanten hatte T. am 10. April - also an dem Tag, an dem er seine Kollegin anlog - in einem Fastfood-Restaurant in Kassel getroffen. Angeblich um der Quelle ihren Spitzellohn zu übergeben. Der Gewährsperson (GP) 389, mit der der V-Mann-Führer nur "sporadischen Kontakt" gehabt haben und sich allenfalls über die privaten Dinge seines Einflüsterers unterhalten haben will.

Polizeibeamte, die in der Folge T.s Telefongespräche belauschten, kamen da zu einem ganz anderen Ergebnis. Der Verfassungsschützer, notierten sie in einem Abhörprotokoll, "scheint eine vertrauliche, fast freundschaftliche Beziehung zur GP zu pflegen". In einem anderen Telefonat sprach Benjamin G. seinem Agentenführer auf die Mailbox: Post sei für ihn angekommen. Der Neonazi mit Beziehung in die militante Blood & Honour-Szene ist für den Geheimdienstmann der "Benni", seine Telefonnummer unter "Ben" abgespeichert - eine Vertrautheit, die vielleicht auch daher rührt, dass beide im selben Dorf geboren wurden.

Gründe genug für T., um sich bei Kollegen Rat zu holen, als er wegen des Mordes an Halit Yozgat ins Fadenkreuz der Polizei geriet. Einer seiner Vorgesetzten rät dem verdächtigen Agenten, bei Gesprächen mit den Fahndern "so nah wie möglich an der Wahrheit zu bleiben". Noch am selben Tag rät derselbe Vorgesetzte seinem Mitarbeiter, für eine dienstliche Erklärung im Verfassungsschutzamt sei es wichtig, wann "Andreas zum ersten Mal mitbekommen hat, sei es an der Arbeitsstelle oder privat, dass in der BRD Morde geschehen sind. Ab wann ihm klar war, dass er an einem Tatort anwesend war? Ab wann es ihm bewusst war? Dann stellt sich nämlich die Frage, ob er sich hätte dem Amt gegenüber äußern müssen". Der Geheimschutzbeauftragte des hessischen LfV hielt seinen Untergebenen also nicht zur Wahrheit an, sondern empfiehlt ihm "so nah wie möglich an der Wahrheit" zu lügen und zeigt ihm die Fallstricke auf.

Derselbe Vorgesetzte zeigte in einer Besprechung der Verfassungsschützer mit Kriminalbeamten und Staatsanwalt dann sehr wohl Verständnis dafür, dass die Ermittler in alle Richtungen, auch gegen den Geheimdienstmann T. ermittelten: "Sie kratzen alles zusammen, das nehmen wir ihnen auch nicht übel". Wenig später macht der Inlandsgeheime dann aber deutlich, dass er den Fahnder doch übel nimmt, sollten die die von T. geführten Spitzel vernehmen wollen: Einen mit den Vernehmungen "einhergehenden Verlust der Quellen" befürchtet er, das "größtmögliche Unglück" für die Verfassungsschützer. Könnten die Polizisten die V-Männer befragen, dann sei es künftig "für einen fremden Dienst ja einfach", den ganzen Landesgeheimdienst lahm zu legen: "Man müsse nur eine Leiche in der Nähe eines V-Mannes oder eines V-Mann-Führers positionieren", notieren die Kriminalbeamten entsetzt mit.

Die sollen jetzt zum Fall T. vom Gericht befragt werden. Um die Aussagen des Inlandsspions zu überprüfen, an denen Richter Manfred Götzel Anfang Oktober schon seine Zweifel hatte. Am 3. Dezember wird er nachhaken.