Von den „zehn Märtyrern“ spricht der Vater Yozgats, wenn er über die Menschen spricht, die die mutmaßlichen Terroristen des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ ermordet haben sollen. Foto: dpa

Am Dienstag trat der Vater eines NSU-Opfers im Zeugenstand. Verfassungsschützer will von Mord in Kassel nichts gemerkt haben.

München - Es war der bislang emotionalste Zeugenauftritt im NSU-Prozess: Plötzlich liegt der 58-jährige auf dem Boden des Gerichtssaals. Den Kopf an der Anklagebank, den Bauch auf den hellbraunen Teppichboden gepresst, die Beine leicht gespreizt. „So hat mein Sohn gelegen“, ruft, brüllt Ibrahim Yozgat. Tränen laufen über seine Wangen, als der Frührentner langsam aufsteht. Mit seiner Rechten wischt er die Hände des Dolmetschers weg, der ihm auf die Füße helfen will. Beate Zschäpe, die Frau, die er für die Mörderin seines Halit hält, hat ihre linke Hand vor den Mund geschlagen.

Von den „zehn Märtyrern“ spricht der Vater Yozgats, wenn er über die Menschen spricht, die die mutmaßlichen Terroristen des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ ermordet haben sollen. Seinem Sohn Halit sollen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am 6. April 2006 in Kassel zwei Kugeln aus einer Ceska 83 in den Kopf gefeuert haben – der letzte Mord, bevor sie ein Jahr später in Heilbronn die Polizistin Michéle Kiesewetter gemeuchelt haben sollen. Waren die Morde wirklich nur die Tat der NSU-Täter, wie es die Ankläger der Bundesanwaltschaft behaupten? Oder hatten Böhnhardt und Mundlos Helfer, wenn sie ihre Gräueltaten begingen? Wie kaum bei einem anderen Mord dieser Serie stellen sich diese Fragen gerade im Fall des Abendschülers Halit Yozgat.

Während der 21-Jährige ermordet wurde oder unmittelbar vor dessen Tod – die Fahnder der Kasseler Mordkommission (MK) Café ermittelten eine Zeitspanne von 41 Sekunden für beide Tathergänge – besuchte auch der hessische Verfassungsschützer Andreas T. das Internetcafe Yozgat. In dem Geheimdienstmann sieht Vater Yozgat einen möglichen Mittäter. Wie auch lange Zeit die Ermittler – bei einigen ist der Verdacht bis heute nicht ausgeräumt. „Warum wurde Andreas T. erst festgenommen und dann auf Befehl von oben wieder freigelassen?“, fragt Vater Yozgat erzürnt die Richter. Ohne eine Antwort zu bekommen.

Angst davor aufzufliegen

Eine überzeugende Antwort auf diese Frage konnte auch T. selbst nicht geben. Er habe „teilweise mehrfach täglich in Kassel“ Internetcafés besucht, um sich in die Kontaktbörse „iLove.de“ als „wildman70“ einzuloggen. Seit 2003 habe er oft auch die Mietcomputer der Yozgats eingeschaltet. Erst um Hausaufgaben für seine Fortbildung zu machen. Dann, um Nachrichten mit seinen Flirtpartnern „Tanymany“ und „feuchtrasiert17“ auszutauschen.

Er habe Angst gehabt, dass diese Kontakte seiner Frau bekannt würden – „nachdem wir frisch verheiratet waren und gerade unser erstes gemeinsames Kind erwarteten“. Aber auch seinen Vorgesetzten: Das Café der Yozgats lag in der Nähe einer Moschee, die Hessens Verfassungsschutz beobachtete.

Ängste, die Richter Manfred Götzel dem Agenten nicht abnahm, der „fünf Quellen aus dem islamistischen und eine aus dem rechtsextremistischen Bereich“ führte. Mit dem Neonazi, der 2006 beste Beziehungen in die gewaltbereite Gruppe „Combat 18“ unterhielt, telefonierte V-Mann-Führer T. zwei Mal am Mordtag. „Da sind mir zu viele Vielleichts in Ihren Erklärungen“, fuhr Götzel den Ex-Verfassungsschützer an.

Der konnte dem Richter nicht erklären, warum er sich nicht bei der Polizei meldete, nachdem die bereits am Sonntag mit Aufrufen in Kasseler Zeitungen nach Zeugen für den am Donnerstag verübten Morden suchte. Fünf Tage, an die T. allenfalls lückenhafte Erinnerungen haben will. Er habe rekonstruiert, er habe das Café am Mittwoch letztmalig besucht, versucht der Mann dem Richter weis zu machen, der darauf geschult wurde, Zusammenhänge zu rekonstruieren. Ein Mann, der darauf geschult war, Verfassungsfeinde zu observieren.

„Sie waren ausgebildet, Beobachtungen zu machen, sie zu rekonstruieren und schriftlich niederzulegen. Wie kann es da zu einer solchen Fehleinschätzung kommen?“, fragt Götzel beharrlich nach. Keinen Hehl daraus machend, dass er dem Zeugen nicht glaubt. Die Riege der Verteidiger lehnt sich fast geschlossen zurück, verschränkt die Arme vor der Brust und grinst. Bis zu T.s nächster Vernehmung – Richter Götzel wird ihn erneut vorladen.