Kritik der Hinterbliebene der NSU-Mordopfer: Kurz vor der Verkündung des Urteils bemängeln sie, dass die Tatserie nur ungenügend aufgeklärt worden sei. Foto: dpa

Kritik der Hinterbliebene der NSU-Mordopfer: Kurz vor der Verkündung des Urteils bemängeln sie, dass die Tatserie nur ungenügend aufgeklärt worden sei. Der Prozess sei „eine Enttäuschung“.

München - Kurz vor der Verkündung des Urteils im NSU-Prozess haben Hinterbliebene der Mordopfer eine ungenügende Aufklärung der Tatserie kritisiert. „Ich bin mir hundert Prozent sicher, dass es draußen noch Mittäter gibt“, sagte Abdulkerim Simsek, Sohn des ersten NSU-Mordopfers Enver Simsek, am Dienstag in München.

Simsek kritisierte scharf, dass noch immer Akten des Verfassungsschutzes geheim gehalten würden. „Da gibt es offenbar einige Sachen zu vertuschen.“ Gamze Kubasik, Tochter des Dortmunder NSU-Mordopfers Mehmet Kubasik, nannte den am Mittwoch nach fünf Jahren zu Ende gehenden Prozess „eine Enttäuschung“. „Ich habe jahrelang auf Antworten gewartet und bin jetzt zutiefst enttäuscht“, sagte Kubasik. Sie habe sich von dem Prozess eine wie auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) versprochene hundertprozentige Aufklärung gewünscht.

Prozess habe wichtige Fragen nicht beantwortet

„Jetzt gibt es eine große Lücke in mir“. Kubasik sagte, es habe nach ihrer Überzeugung „100-prozentig“ Helfer gegeben. Kubasik forderte, dass weitere Helfer jenseits der fünf Angeklagten des NSU-Prozesses nun auch angeklagt werden. Sie wolle nicht weiter das Gefühl haben, jeden Tag auf der Straße weiteren Tätern zu begegnen. Sie wolle auch wissen, wie genau ihr Vater als Opfer ausgewählt wurde - das habe der Prozess nicht heraus gefunden. Auch Kubasik warf dem Verfassungsschutz Vertuschung vor. Alle Akten zu der NSU-Tatserie müssten nun auf den Tisch. Sowohl Simsek als auch Kubasik zeigten sich überzeugt, dass es am Mittwoch zu einer Verurteilung der Angeklagten kommen werde. Es müsse nun aber das Netzwerk hinter dem NSU aufgeklärt werden.

Kubasiks Anwalt Sebastian Scharmer sagte, die These der Bundesanwaltschaft von einem isolierten NSU-Trio sei durch den Prozess nicht nur widerlegt, sie sei auch als bequeme Entschuldigung für die unzureichenden weitergehenden Ermittlungen entlarvt. Der Staat habe die Chance nicht genutzt, durch Transparenz wieder Vertrauen herzustellen. Scharmer forderte ein „Vernichtungsmoratorium“ für die bei den Behörden lagernden NSU-Akten. Ansonsten drohten nach dem Urteil die Schredder wieder heiß zu laufen. Scharmer bezog sich damit darauf, dass kurz nach dem Auffliegen des NSU im Verfassungsschutz Akten zu der Tatserie geschreddert wurden.

Beunruhigt über wachsende Fremdenfeindlichkeit

Neben den beiden Hinterbliebenen von zwei der zehn NSU-Mordopfer äußerten sich auch Betroffene des NSU-Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße. Die Angehörigen und Opfern zeigten sich auch beunruhigt über die Entwicklung in Deutschland in den vergangenen Jahren. Simsek sagte, es müsse viel mehr gegen die stärker gewordene Fremdenfeindlichkeit vorgegangen werden, die ihm wachsende Sorgen mache. „Wir müssen viel stärker dagegen ankämpfen.“