Auch drei Jahre nach dem Auffliegen des NSU-Trios ist nicht absehbar, wann die Taten der rechtsextremen Terroristen juristisch aufgearbeitet sein werden – der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter wirft erneut Fragen auf. Foto: dpa

Im Sommer befragten Polizisten ein türkisches Ehepaar im Mordfall Kiesewetter erneut – die Parlamentarier des NSU-Unter­suchungsausschusses wurden darüber nicht informiert.

Stuttgart - An manchen ihrer Arbeitstage im NSU-Untersuchungsaussschuss müssen sich die Abgeordneten vorkommen, wie auf einem Volksfest. Einsteigen, festschnallen, rauf, runter, ordentlich durchgeschüttelt werden. Alleine in den letzten Wochen: Erst fühlten sich Beamte des Innenministeriums berufen, Anzeige gegen Abgeordnete und deren Mitarbeiter zu erstatten, die an einer nicht-öffentlichen Befragung eines Verfassungsschützers teilgenommen hatten. Aus diesem Kreis, so mutmaßen die Staatsdiener, seien Informationen über die Einvernahme in die Öffentlichkeit lanciert worden.

Dann plauderten die Ministerialen selbst Informationen über die vertrauliche E-Mail aus, die ein unliebsamer Polizist dem Ausschuss geschickt hatte. Gegen den Schutzmann wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Als wäre damit noch nicht genug Vertrauen zerdeppert, schilderte jetzt eine Zeugin den nichts ahnenden Parlamentariern, sie sei vor drei, vier Monaten nochmals von zwei Polizisten zu ihren Beobachtungen im Zusammenhang mit dem Heilbronner Polizistenmord befragt worden. Dabei habe sie in einer Fotomappe das Bild eines Mannes gesehen, der am 25. April 2007 kurz nach dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter an ihr vorbeigerannt sei und sich vor einem über dem Wertwiesenpark schwebenden Polizeihubschrauber in den Büschen versteckt habe.

Die erneute Befragung findet sich nicht in den Akten

Weder von der erneuten Vernehmung der Frau und ihres Ehemannes noch von dem wiedererkannten Mann wussten die Abgeordneten etwas. Das sei, sagte der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD) „eine neue Situation“. Zumal unklar ist, wer das türkisch-stämmige Ehepaar vernahm.

Erstaunlich ist, dass sich die neuerliche Befragung weder in den Akten der Politiker noch denen Gerichtes findet. Zwar ist die Aussage des Paares vom 28. April 2007 bei der Heilbronner Kriminalpolizei protokolliert. Wie auch ein weiterer Besuch von Ermittlern am Abend des 11. Novembers 2011. Bei dem legten zwei Beamte den Eheleuten die „Lichtbildmappe 24“ des Landeskriminalamtes vor. Auf 36 Fotos sind dort auch die mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, zwei Mal ihr Komplize Uwe Mundlos sowie deren Unterstützer Holger Gerlach zu sehen. Das Ehepaar erkannte niemanden auf den Fotos.

Wenige Tage vor dem abendlichen Besuch bei dem Ehepaar waren am 4. November in Thüringen die drei Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe aufgeflogen. Ihrem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) legen die Ankläger der Bundesanwaltschaft zehn Morde zwischen 2000 und 2007 zur Last. Auch den an Michèle Kiesewetter und den versuchten an ihrem Kollegen Martin Arnold. In dem Wohnmobil, in dem sich Böhnhardt und Mundlos umgebracht haben sollen, fanden Spurensicherer die Dienstwaffen der beiden Heilbronner Polizisten. Diese waren ihnen nach dem Mord gestohlen worden. Zudem fanden sich im Brandschutt des wahrscheinlich von Zschäpe in Flammen gesetzten Unterschlupfes des NSU die Tatwaffen, mit denen Kiesewetter und Arnold niedergeschossen wurden.

Die Abgeordneten fordern Informationen

Dies alles ist gut in den Ermittlungsakten dokumentiert. Nicht jedoch die erneute Vernehmung des Ehepaars und ihre Überzeugung, auf einem der vorgelegten Fotos den schwarz gekleideten Mann wiedergesehen zu haben, der vor acht Jahren an ihnen vorbeigerannt sei. Offiziell taucht der Name der Eheleute bislang nur noch einmal auf: In dem Vermerk „Verzeichnis der Beweismittel mit Zuordnungsnachweisen, den die Bundesanwaltschaft am 15. Januar 2013 zur Vorbereitung des Strafverfahrens gegen Zschäpe und ihre mutmaßlichen Unterstützer vor dem Münchener Oberlandesgericht anfertigten.

Die Abgeordneten des Untersuchungsausschusses wollen jetzt wissen, ob die beiden Zeugen von Ermittlern des Landes- oder des Bundeskriminalamtes befragt wurden. Die Beamten könnten vor das Gremium geladen werden. Zudem wollen die Politiker die Fotomappe vorgelegt bekommen, in der die Heilbronnerin den Flüchtigen erkannte.