Der Mord an Michèle Kiesewetter ist noch immer nicht aufgeklärt. Foto: dpa

Zwei Zeugen zeichnen im thüringischen NSU-Untersuchungsausschuss ein bizarres Geflecht von Neonazis, Polizisten und Familienmitgliedern rund um die Polizeimeisterin.

Zwei Zeugen zeichnen im thüringischen NSU-Untersuchungsausschuss ein bizarres Geflecht von Neonazis, Polizisten und Familienmitgliedern rund um die Polizeimeisterin.

Stuttgart - Thüringens Abgeordnete haben jede Menge Fragen. Aus gutem Grund: Die Ermordete stammte aus ihrem Bundesland. Michèle Kiesewetter war Thüringerin, auch wenn sie den Eid abgelegte, als Polizistin Baden-Württemberg zu schützen. Bis sie am 25. April 2007 auf der Heilbronner Theresienwiese mit einem Kopfschuss kaltblütig getötet wurde. Ein Mord, für den die Bundesanwaltschaft die drei mutmaßlichen Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) verantwortlich macht.

Eine Hypothese, die die Parlamentarier des Erfurter NSU-Untersuchungsausschusses auf den Prüfstand stellen wollen. Und deshalb auch in der Familie des Mordopfers nach einem Motiv für den Mord suchen, der als der rätselhafteste der Serie gilt. Jetzt befragten die Politiker den Patenonkel Kiesewetters, den Kriminalpolizisten Mike W., und dessen frühere Lebensgefährtin Anja W.

Die kannte Kiesewetter gut. Man sah sich oft: Wenn sich die Familie im ostthüringischen Oberweißbach bei der Oma zum Mittagessen traf. Oder als Kiesewetter, ihr Lebensgefährte, Patenonkel Mike und W. am Plattensee in Ungarn die Sonne genossen. Und als Kiesewetter ihre Abschlussarbeit in der Polizeischule vorlegen musste, schrieb sie die auf dem Computer Anja W.s, die selbst auch Polizistin in Thüringen ist.

Auch wenn sie inzwischen ihren Dienstausweis nicht mehr vorzeigt. Das soll mit ihrem heutigen Ehemann zusammenhängen. Den lernte Anja W. kennen, als sie gegen ihn ermittelte. Seit 1994 betreibt er in Schleiz eine Sicherheitsfirma. Immer wieder, so der Vorwurf der Vorgesetzten, soll W. die Datenbanken der Polizei nach Informationen durchforstet haben, um ihrem Mann gefällig zu sein. Auch zu Rechtsextremen recherchierte sie in den Polizeicomputern. Die Firma Ralf W.s wird immer wieder damit in Verbindung gebracht, dort würden Rechtsextreme beschäftigt.

Anja W. bestreitet das alles. Die Abfragen hätten einen dienstlichen Hintergrund gehabt. Das Verfahren gegen sie wegen Geheimnisverrats wurde eingestellt, nachdem W. eine Geldauflage gezahlt hatte. Seitdem ist sie krank geschrieben.

Im Januar berichtete unsere Zeitung, dass Ehemann Ralf W. in den neunziger Jahren Zeuge in einem Verfahren gegen Uwe Böhnhardt war, einen der mutmaßlichen NSU-Terroristen. Ralf W. ist zudem mit Ronny Weigmann verwandt, einem früheren Mitglied der Rechtsrockband „Vergeltung“. Deren CDs verschenkte der in Münchener NSU-Verfahren ebenfalls angeklagte Holger G. gerne zu Hochzeiten. Weigmann unterhielt Kontakte zu Ralf Wohlleben, der ebenfalls in München angeklagt ist. Und als Beate Zschäpe mit einer Gruppe Neonazis ein Holzkreuz abfackelte, war auch Ronny Weigmann mit von der Partie.

Mit Kontakten in die rechte Szene kann auch Anja W. aufwarten. Einer ihrer Freunde hielt engen Umgang mit Frank Liebau. Jenem Mann, der die Ceska-Pistole besorgte, mit der der NSU acht Türken und einen Griechen erschossen haben soll.

Mehrfach weist Anja W. in ihrer Befragung darauf hin, dass sie bedroht werde. Vor der Sitzung des Untersuchungsausschusses sei ihr wieder ein Autoreifen aufgeschlitzt worden. Zwei Herren hätten sie zudem besucht. Die hätten ihr Anfang 2012 geraten, „sich an nichts zu erinnern“. Anja W. vermutet Verfassungsschützer hinter dem Auftritt.

Sie versichert den Abgeordneten, die Männer auf Fotos wiederzuerkennen. Katharina König von der Linksfraktion hakt nach: „Gibt es Informationen, die Sie nicht sagen, wegen dieser Bedrohung?“ W. schweigt und bittet um eine Pause, um sich mit ihrem Anwalt zu beraten. Nach zehn Minuten erzählt sie mit leiser Stimme dem Ausschuss, was im November in unserer Zeitung stand: Dass die Tochter ihres Ex-Lebensgefährten, des Patenonkels von Michèle Kiesewetter, mit einem Rechtsextremen zusammenlebe. Der gehöre der inzwischen verbotenen Neonazi-Bewegung „Blood and Honour“ an. Das Netzwerk soll der bewaffnete Arm des Thüringer Heimatschutzes gewesen sein, in dem sich Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe radikalisierten.

Pate Mike W. hatte diese Informationen in seiner Befragung durch die parlamentarischen Ermittler verschwiegen. Er spielte zudem Inhalt mehrerer SMS herunter, die ihm Anja W. 2012 geschickt hatte. In denen hatte W. den Patenonkel der ermordeten Polizeimeisterin als „Verräter“ bezeichnet, nachdem dieser als Zeuge zu der Bluttat vernommen worden war. Mike W. bringt das mit den Ermittlungen gegen seine frühere Lebensgefährtin in Zusammenhang: „Die hat wohl geglaubt, ich wäre irgendwie daran beteiligt.“

Die Drohungen, Familien- und Freundesbeziehungen geben den Abgeordneten des thüringischen Landtages neue Fragen auf. Deswegen werden sie weitere Zeugen zum Fall Kiesewetter laden. Mit Ausnahme der Grünen hatten Baden-Württembergs Parlamentarier im Februar entschieden, keine offenen Fragen zum Heilbronner Polizistenmord mehr zu haben. Die Regierungsfraktion denkt seitdem über ihre Fragen nach.