Gedenktafel für die getötete Polizistin Michele Kiesewetter Foto: dpa

Abgeordnete stellen in Frage, dass mutmaßliche Rechtsterroristen baden-württembergische Polizistin zufällig erschossen haben

Stuttgart - Wenn Clemens Binninger über diesen Mord redet, werden Servietten zum Neckar, Milchtöpfchen zum Transformatorenhaus und Zuckerwürfel zum Mörder. So rekonstruiert der Bundestagsabgeordnete mit Hilfsmitteln den Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter. Gestern hatte der Christdemokrat nur seine Worte und Hände, um die Bluttat zu verdeutlichen. Den Mitgliedern des NSU-Untersuchungsausschusses in Baden-Württemberg machte er deutlich, dass er nicht daran glaubt, dass lediglich die beiden mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im April 2007 Kiesewetter und ihren Kollegen Martin Arnold in Heilbronn niederschossen.

„Die Täter nutzten andere Waffen als die zuvor bei den sogenannten Ceska-Morden verwendeten“, sagt Binninger. Zwischen 2000 und 2007 waren außer Kiesewetter sieben türkischstämmige Kleinhändler und ein Grieche erschossen worden. Der Generalbundesanwalt legt die Taten dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) zur Last. In Heilbronn, sagt Binninger, seien die Täter anders vorgegangen als bei den neun Morden zuvor. „Sie nahmen erstmals Gegenstände der Opfer vom Tatort mit. Auf den Tatwaffen befindet sich weder Genmaterial von Böhnhardt oder Mundlos, dafür aber von einer unbekannten Person. Zeugen sahen blutverschmierte Personen flüchten“, fasst der frühere CDU-Obmann im Untersuchungsausschuss des Bundestages seine Zweifel zusammen. Vor allem aber macht er klar: Der frühere Polizist glaubt nicht daran, dass Kiesewetter und Arnold zufällig das Opfer des Gewaltverbrechens wurden.

Die „These vom Zufallsopfer“ überzeugte auch Binningers Kollegin Eva Högl nie. Zumal die Sozialdemokratin im Berliner NSU-Gremium gravierende Mängel in der Ermittlungsarbeit ausgemacht hat. So wurden, beschreibt sie, „die Beziehungen Kiesewetters in die rechtsextreme Szene ihres Heimatortes Oberweißbach nur unzureichend unter die Lupe genommen“. Klar stellte Högl, dass die junge Polizeimeisterin aus Thüringen „sicher keine Neonazistin war“.

Allerdings traf Kiesewetter am Wochenende vor der Bluttat in Heilbronn noch Sandkastenfreunde, die der Neonazi-Band „I don’t like you“ nahe standen. Die Tochter ihres Patenonkels, ihre Cousine, gehörte zumindest zeitweise der rechtsextremen Szene Thüringens an. Ihr Lebensgefährte kam aus der radikalen Neonazi-Szene.

Dorothea Marx (SPD), Vorsitzende des Thüringer Untersuchungsausschusses zum NSU, gab ihren Südwest-Kollegen weitere Anhaltspunkte mit auf den Weg. Die damalige Lebensgefährtin des Kiesewetter-Paten Mike W. ist heute mit einem Unternehmer verheiratet, der sich in der rechten Szene bewegte. „In dem Sicherheitsunternehmen sind bis heute zahlreiche Personen beschäftigt, die sich im rechtsextremen Umfeld bewegten“, berichtet Marx von ihren Untersuchungen.

Die Thüringer Parlamentarier, sagt die Sozialdemokratin, hätten sich allerdings nur am Rande mit dem Mord an Michèle Kiesewetter beschäftigen können. Insgesamt hätten sie „dreieinhalb Zeugen befragt. Haben wir uns zwei Tage lang im Parlament mit dem Thema beschäftigt.“ Zu mehr, so die Rechtsanwältin, habe den Abgeordneten einfach die Zeit gefehlt. Zudem seien die Thüringer nicht zuständig gewesen, die Bluttat in Heilbronn aufzuklären: „Die einzige Schnittmenge ist, dass die Thüringerin Michèle Kiesewetter Polizeibeamtin im Land Baden-Württemberg war.“

Dessen Politiker taten sich schwer mit einem Vorwurf der SPD-Frau Eva Högl. Die bescheinigte den Sicherheitsbehörden „strukturellen Rassismus in ihren Reihen“. Bei den Ermittlungen habe nicht im Vordergrund gestanden, dass beispielsweise der Mord an dem türkischstämmigen Blumenhändler Enver Simsek in Nürnberg aufzuklären gewesen sei. „Im Vordergrund standen die ergebnislosen Nachforschungen im Drogen- und Rotlichtmilieu“.

Klar stellte die Genossin, dass nicht „jede Polizistin und jeder Polizist“ für sie ein Rassist sei. Aber: Es wundere sie schon, dass ausgerechnet der frühere bayrische Innenminister Günther Beckstein (CSU) offenbar als einziger auf die Idee gekommen sei, es könnte sich bei dem Mord an dem ihm bekannten Blumenhändler um ein ausländerfeindliches Motiv handeln. Dazu wolle sie eine breite Diskussion anstoßen.