Im NSU-Ausschuss hat am Freitag ein Thüringer Polizist ausgesagt. (Archivfoto) Foto: dpa

Ein Thüringer Polizist hatte schon früh die Vermutung, die Opfer der NSU gingen auf die Kappe derselben Täter, behielt das allerdings weitgehend für sich.

Stuttgart - Die Brutalität der Morde an der Polizistin Michèle Kiesewetter und neun Bürgern ausländischer Herkunft hat einen Thüringer Polizisten zu einem sehr frühen Zeitpunkt einen Zusammenhang zwischen den Delikten herstellen lassen. „Eine Art Hinrichtung war das ja jeweils“, sagte der 52-jährige Kriminalhauptkommissar am Freitag vor dem NSU-Untersuchungsausschuss. Nach den Worten von Ausschusschef Wolfgang Drexler (SPD) war er „der erste Polizeibeamte, der auf diese Idee gekommen ist“. Der Polizist hatte seine Erkenntnisse nach eigenen Angaben ausschließlich aus polizeiintern verfügbaren Informationen geschöpft.

Wann Verdacht aufkam, ist unklar

Wann genau er den Verdacht gegenüber dem Kollegen und Onkel von Kiesewetter äußerte, ließ sich nicht aufklären. Der Onkel des Mordopfers datierte den Zeitpunkt des Gesprächs vor dem Ausschuss auf wenige Tage nach dem Mord an Kiesewetter am 25. April 2007 in Heilbronn. Der 52-Jährige hingegen sagte, es sei längere Zeit danach geführt worden, möglicherweise auch erst ein Jahr später. Er habe darin zu dem Kollegen gesagt: „Da wird doch nicht einer rumreisen und Leute umbringen.“ Seine Schlussfolgerung, die auch auf der Gleichheit der Kaliber der Tatwaffe beim Kiesewetter-Mord und bei zumindest einem anderen Mord an einem ausländischen Kleinunternehmer beruhe, habe er niemand anderem mitgeteilt. Er habe ein „Urvertrauen“ in die akribische Arbeit der Kollegen gehabt und sich überdies nicht von Thüringen aus in deren Arbeit einmischen wollen.

Erst im November 2011 kamen die Ermittler dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) auf die Spur und stellten die Mordserie in den Zusammenhang mit Rechtsterrorismus. Damals waren die zwei Dienstwaffen, die die Täter der toten Kiesewetter und ihrem schwer verletzten Kollegen entwendet hatten, im vom rechtsextremistischen NSU gemieteten Wohnmobil gefunden worden.

Fallanalytiker: Phänomen war „völlig neu“

Ein auf den Polizistenmord angesetzter Fallanalytiker des Landeskriminalamtes sagte, selbst bei Bekanntwerden des Verdachtes des Thüringer Kollegen wäre dieser „unter Abwägung aller Wahrscheinlichkeiten durch den Rost gefallen“. Das „völlig neue“ Phänomen eines Anschlags auf Polizeibeamte sei bis zum Heilbronner Fall 2007 nicht bekanntgewesen. „Jeder ist jetzt dafür sensibilisiert“, erläuterte er. „Die Lehren, die sich aus diesem Fall ergeben haben, fließen ein“, unterstrich er. Mehrere Mitglieder des Ausschusses hielten ihm allerdings Beispiele von rechtsextremistisch motivierten Anschläge auf Polizisten vor.

Der Experte erläuterte, dass es sich bei dem Mord an der Beamtin um einen Anschlag gegen den Staat und eine Demonstration von Macht handeln könnte, sei damals nicht als mögliches Motiv erschienen. Man sei eher von einer verschworenen Gemeinschaft ausgegangen, die eine Mutprobe oder als „Selbstbestätigung etwas total Verwegenes“ habe machen wollen. Solche Taten hätten auf Rocker und Russenmafia hingewiesen. Deshalb seien nach damaliger Vermutung die entwendeten Waffen „als Insignien der Macht“ und „Trophäen“ auch nicht weggeworfen worden.