Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages hat den Abschlussbericht vorgelegt - mit scharfer Kritik an den Sicherheitsorganen. Der Vorsitzende des Ausschusses Sebastian Edathy beklagte "massives Behördenversagen".

Berlin - Der Unionsobmann Clemens Binninger war selbst einmal Polizist. Im Untersuchungsausschuss des Bundestags zur rechtsterroristischen NSU-Mordserie hat er eine tragende Rolle gespielt. „Den einen großen Fehler hat es nicht gegeben“, sagt er am Donnerstag bei der Vorstellung des Abschlussberichts. Aber doch ein „verhängnisvolles Versagen“. Was Binninger meint: Es war eine Vielzahl von Versäumnissen, die das Neonazi-Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe viele Jahre lang davonkommen ließ.

Dem widersprechen auch die anderen Mitglieder des Ausschusses nicht grundsätzlich. Viel gelobt wird an diesem Tag die fraktionsübergreifende Einigkeit. Dass ein gemeinsamer Schlussbericht sogar in Wahlkampfzeiten möglich war, ist bemerkenswerter. Allerdings sind viele allzu diplomatische und bürokratische Formulierungen in dem Papier der Preis für die Gemeinsamkeit.

Und allzu weit trägt sie auch nicht: Die Linke etwa fordert seit langem die Auflösung des Verfassungsschutzes, die Grünen eine komplette Umstrukturierung. Beide wollen auf den Einsatz der umstrittenen V-Leute künftig verzichten. Diese Forderungen macht sich der Ausschuss natürlich nicht komplett zu eigen.

Keinen Konsens gibt es im Grunde auch in der grundlegenden Bewertung der Ursachen für dieses „historische Versagen“ der Sicherheitskräfte. Wenn es den einen großen Fehler nicht gegeben hat, der das Desaster erklären könnte - einen entscheidenden Faktor gibt es ja doch: Bei keinem der neun Morde an türkisch- oder griechischstämmigen Männern gingen die Sicherheitsbehörden dem Verdacht auf einen rechtsextremistischen Hintergrund nach.

Aber war dies nur eine Kette von individuellen Versäumnissen, oder steckte mehr dahinter? Einzelne Beamte, die aus rassistischen Motiven die Täter eher im kriminellen Mafia- und Drogenmilieu suchten als im rechtsextremen Umfeld, die von „Döner-Morden“ sprachen und eine „Soko Bosporus“ etablierten? Oder gibt es einen „strukturellen Rassismus“, wie Linken-Fraktionschef Gregor Gysi im Sender n-tv formuliert? Und nur bei der Polizei, oder vielerorts in Deutschland? Diese Frage ist auch angesichts der Proteste gegen Asylbewerber in Berlin akut.

"Es sind mehr Fragen offen als beantwortet"

Die SPD-Obfrau im Untersuchungsausschuss, Eva Högl, spricht zumindest von „rassistisch geprägten Verdachts- und Vorurteilsstrukturen“ in der Polizei. Der Zentralrat der Muslime und die Opferanwälte im NSU-Prozess gehen weiter. Anwältin Angelika Lex meinte: „Es ist sehr wichtig, dass dieser Alltagsrassismus in der Polizei bearbeitet wird.“ Die Muslime wollen einen Anti-Rassismus- Beauftragten. Viele fordern einen „Mentalitätswechsel“ bei den Sicherheitsbehörden. Aber das kann dauern.

Die „schonungslose Aufklärung“, die Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Trauerfeier für die Opfer der Neonazi-Mordserie gefordert hatte, sieht die Linken-Obfrau Petra Pau noch lange nicht erreicht. Und auch ihr FDP-Kollege Hartfrid Wolff sagt: „Es sind mehr Fragen offen als beantwortet.“ Er meint damit unter anderem die internationalen Verflechtungen der deutschen Neonazis und ihre finanzielle Unterstützung durch unbekannte Quellen.

Der Ausschussvorsitzende Edathy zieht nach eineinhalb Jahren eine eher zufriedene Bilanz: „Der Rechtsstaat ist nicht fehlerfrei, aber in der Lage, aus Fehlern zu lernen.“ SPD-Obfrau Högl hat vor allem eine Sorge: „Dieser Bericht darf jetzt nicht in den Schubladen verschwinden.“ Mit anderen Worten: Die 47 Reformvorschläge müssen umgesetzt werden.