Ein rechtsradikaler „Geheimbund“ in Heilbronn, dessen Mitglieder es verstärkt nach Jena zieht – die Akten zu den NSU-Morden werfen nach wie vor jede Menge Fragen auf.
Heilbronn - Michael Dangel stapft mit hinkendem Gang zu seinem Fahrzeug. Hinter dem Lenkrad des kleinen Roadsters sieht der massige Glatzkopf aus wie ein Michelin-Männchen im Autoskooter. Der 46-jährige Steuerberater trägt nicht immer Jogginghose und Bomberjacke, wenn er seine Kanzlei im Südwesten Heilbronns verlässt. Auch wenn er sich Hemd und Anzug überstreift: Seine rechtsextreme Gesinnung hat Dangel seit mehr als 25 Jahren nicht abgelegt.
Um die zu verbreiten, spinnt der Diplom-kaufmann seitdem Netzwerke mit Gleichgesinnten. Dangel war bei den Republikanern und bei der Deutschen Volksunion (DVU). Er fungierte als Sprecher der rechtsextremen „Burschenschaft Arminia Zürich zu Heidelberg“ und des „Nationalen Bündnis Heilbronn“. Was auffällt: Besonders enge Bande bestehen zwischen Dangels Umfeld und der Neonazi-Szene in Jena. Aus der thüringischen Universitätsstadt stammen die mutmaßlichen Rechtsterroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sollen im April 2007 die Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn erschossen haben. Seit Januar 1998 führten die beiden mit Komplizin Beate Zschäpe offensichtlich ein Untergrundleben als Mörder und Bombenleger.
Dangel scharte in Heilbronn zu dieser Zeit einen selbst ernannten Geheimbund um sich. Der solle „bewusst klein und überschaubar gehalten werden“, wies Dangel bei einem Treffen an. Nur „vertrauenswürdige und langjährige politische Gefährten“ dürften mitmachen, wird er in Ermittlungsakten zitiert. Ziel der Geheimniskrämerei: Man wollte sich gegen den Verfassungsschutz abschotten. Der saß längst mit am Tisch.
„Wer Multi-Kulti sät, wird Bürgerkrieg ernten“
Aus den Berichten von „VM 6597.1 (Rose)“ lässt sich heute rekonstruieren, wer bei den Treffen der rechten Geheimbündler im City-Pub und in den Siedlerstuben in Heilbronn debattierte. Im März 1997 erklärte sich bei einem Treffen der damals 25-jährige Michael S. bereit, Aufkleber für den „Nationalen Widerstand“ zu beschaffen. „Wer Multi-Kulti sät, wird Bürgerkrieg ernten“, sollte auf den Stickern stehen. Wenig später verließ S. die Neckarstadt in Richtung Jena. Dort studierte er Medizin und kam zur Burschenschaft Jenensia. Bei einer Veranstaltung der Korporierten am 1. Dezember 1999 rückte ein martialischer Ordnerdienst an: rund 20 Mitglieder des „Thüringer Heimatschutzes“. Jener Neonazi-Organisation, in der auch Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt zeitweise aktiv waren.
In der Jenensia führte der Schulterschluss mit den militanten Neonazis zum Eklat. Die Studenten, die keine Berührungsängste zum Heimatschutz kannten, mussten gehen. Unter ihnen auch Michael S., der Geheimbundbruder von Dangel.
Zwei Monate später gründete S. mit weiteren Aktiven die Burschenschaft Normannia. An seiner Seite: der jüngere Bruder des Heimatschutz-Aktivisten André Kapke. Der heute 35-jährige Softwareentwickler sang als Teil des rechten Musikduos Eichenlaub ein Lied für die untergetauchten späteren NSU-Terroristen. Auch André Kapke und Ralf Wohlleben nahmen an Veranstaltungen der Normannia in Jena teil. Wohlleben ist einer der Angeklagten im Münchner NSU-Prozess. Der 40-Jährige soll den Rechtsterroristen eine Schusswaffe besorgt haben. Michael S. kehrte nach seinem Studium wieder ins Land zurück. Er arbeitet heute als Chirurg im Landkreis Heilbronn.
Wirtin als „polnisches Schwein“ beschimpft
S. ist nicht der Einzige aus Dangels „Geheimbund“, der in Jena beruflich und politisch Karriere machte. Auch die Pfedelbacherin Nicole Schneiders nahm an den Treffen in Heilbronn teil, bis sie zum Studium nach Thüringen aufbrach. In Jena wurde sie, damals noch mit ihrem Familiennamen Schäfer, Mitglied der NPD. Heute steht sie als Rechtsanwältin dem NSU-Angeklagten Wohlleben vor dem Münchner Oberlandesgericht zur Seite.
Beim Aktenstudium dürfte Schneiders über den Namen eines weiteren Bekannten von Dangel gestolpert sein. Der Heilbronner Alexander L. geriet ins Fadenkreuz, als NSU-Ermittler nach Rechtsextremisten mit Bezügen in die neuen Bundesländer suchten. L. wurde laut Akten immer wieder straffällig. Eine Wirtin beschimpfte er 2008 in Heilbronn als „polnisches Schwein“. „Wenn Du nicht zumachst, wirst Du auch zu Asche – wie die anderen“, drohte er ihr. Der heute 39-Jährige war damals nur zu Besuch in der Heimat. Unter der Woche studierte Alexander L. Politikwissenschaften – in Jena.