Während der Nazi-Diktatur war die Landesverwaltung gleichgeschaltet. Welche Spielräume sie hatte und wie die handelnden Personen vorgingen untersucht jetzt ein Wissenschaftlerteam.
Stuttgart - Das Land lässt sich die Geschichtsforschung in eigener Sache einiges kosten. Wie unsere Zeitung erfuhr, bewilligte der Aufsichtsrat der Baden-Württemberg-Stiftung am Freitag 1,45 Millionen Euro für die „Aufarbeitung der Geschichte der Landesministerien in der Zeit des Nationalsozialismus“. So lautet der offizielle Titel eines auf drei Jahre angelegten Forschungsprojekts unter Federführung des baden-württembergischen Wissenschaftsministeriums, das die Rolle der damaligen Ministerien in Württemberg und Baden untersuchen soll. Dabei geht es unter anderem um die Frage, welche Handlungsspielräume die Landesverwaltung im gleichgeschalteten NS-Staat hatte und ob regionale Faktoren, wie unterschiedliche Beamtentraditionen eine Rolle spielten.
Verglichen mit heute gab es in Württemberg während der Nazi-Zeit nur wenige Ministerien: Inneres, Finanzen, Kultus, Wirtschaft, Justiz (bis 1934) sowie das Staatsministerium. Das Interesse der Wissenschaftler gilt besonders auch den damals handelnden Personen und ihren Karriereverläufen. Wo gab es Kontinuitäten über den Zeitraum von 1933 bis 1945 hinweg?
Das Land sieht sich mit dem Geschichtsprojekt in einer Vorreiterrolle. Wie es heißt, werde sich das Forschungsprogramm sowohl methodisch als auch inhaltlich von geplanten Studien in anderen Bundesländern abheben. Begründet wird dies mit dem Forschungsansatz der sogenannten „Public History“. Dabei soll die Öffentlichkeit – Mitarbeiter der Ministerien, Studenten, Lehrer, Bürger – bereits während der Untersuchungen eingebunden werden. Dieser Ansatz erfordert offenbar einen hohen Personalaufwand. Sieben wissenschaftliche Mitarbeiter sollen sich dem Projekt widmen. Dadurch sei jedoch auch ein hoher gesellschaftlicher Mehrwert garantiert, heißt es. Ziel sei „eine weitere Stärkung der geschichtsbewussten demokratischen Zivilgesellschaft“. Eine Wissenschaftlergruppe um die Historiker Wolfram Pyta (Universität Stuttgart) und Edgar Wolfrum (Universität Heidelberg), die eine Vorstudie angefertigt hatte, sieht den Nutzen in der „historisch-politischen Selbstvergewisserung des Landes Baden-Württemberg“.
Der Leiter des Hauses der Geschichte, Thomas Schnabel, begrüßt das Vorhaben: „Das ist äußerst sinnvoll“, sagte er unserer Zeitung. Spannend findet Schnabel vor allem die Frage, welche Rolle das damalige Finanzministerium und die Finanzämter bei der sogenannten Arisierung spielten, dem Raub jüdischen Vermögens und Eigentums.