Ausschnitte aus einem Progragandafilm der Nazis vom Sammellager auf dem Killesberg. Ausschnitte davon sind in der Dauerausstellung im Haus der Geschichte zu sehen. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

1. Dezember 1941 – ein trauriges Datum in der Stadtgeschichte. Mehrere Veranstaltungen erinnern an den Beginn der Juden-Deportationen.

Stuttgart - Wenige Wochen vor Weihnachten, am 1. Dezember 1941, brachte man die jüdischen Mitbürger zum Zug – zum Zug, der in den Tod führen sollte. Ein trauriges Datum in der Stadtgeschichte. Er markiert den Beginn der Juden-Deportationen in Stuttgart vor 75 Jahren. Etwa 1000 Menschen wurden an diesem Tag unter den Augen der Öffentlichkeit in Eisenbahnwagons gesteckt und vom Nordbahnhof aus nach Riga in Lettland verschleppt, in ein umfunktioniertes ehemaliges Gut mit dem Namen Jungfernhof.

Zuvor waren sie vier Tage lang in der ehemaligen „Ehrenhalle des Reichsnährstandes“, der sogenannten Blumenhalle, auf dem Killesberg eingesperrt worden, Juden aus Württemberg und Hohenzollern. Vorausgegangen war eine Anweisung der Gestapo vom 18. November 1941. Darin waren Landräte und Polizeidirektionen über die bevorstehenden Deportationen unterrichtet worden. Die jüdische Kultusvereinigung musste daraufhin die Personen bestellen und benachrichtigen, das Sammellager auf dem Killesberg einrichten und die Finanzierung der Deportation sicherstellen, wie der ehemalige Leiter des Stuttgarter Stadtarchivs, Paul Sauer, in einem Text über die damaligen Ereignisse schreibt.

Ganze Familien wurden erschossen

Am 4. Dezember erreichten die Todgeweihten Riga. Wie ihre vermeintliche „Ansiedlung im Osten“ ablief, schildert der Autor Norman Krauß in einem Beitrag für den Band „Orte des Gedenkens und Erinnerns in Baden-Württemberg“: „Die Männer erhielten ihre Unterkunft in einer großen Wellblechscheune, etwa 100 auf 15 Meter groß. Da vom Dach nur Reste vorhanden waren und sich die Tore nicht schließen ließen, lagen die Deportierten praktisch unter freiem Himmel. Überlebende berichten, dass während des strengen Winters 1941/42 in der Scheune nachts mitunter Temperaturen von bis zu minus 40 Grad Celsius herrschten. Ein besonderes Arbeitskommando musste tagtäglich die steifgefrorenen Toten aus den 70 Zentimeter hohen Kojen herausziehen und abseits der Scheune aufstapeln.“

Von den 1000 Menschen, die am 1. Dezember aus Stuttgart deportiert worden waren, überlebten weniger als 50 Krieg und Rassenwahn. Die anderen erfroren oder wurden erschossen. Oftmals ganze Familien. Stellvertretend sei die siebenköpfige Familie des Stuttgarter Textilunternehmers Walter Levi genannt. Im Bikernieki-Wäldchen, dem Schauplatz der Massenerschießungen, erinnert seit 16 Jahren ein Denkmal an die Opfer, errichtet vom „Riga-Komitee“, dem der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge angehören sowie 13 deutsche Städte, darunter Stuttgart.

Schüler trafen eine Überlebende in New York

In Stuttgart selbst wird an zwei Orten der Opfer gedacht: Am Nordbahnhof, wo nach dem 1. Dezember 1941 weitere neun Deportations-Züge mit rund 1600 Juden ihren Ausgang nahmen; 2006 wurde hier die Gedenkstätte „Zeichen der Erinnerung“ eingerichtet. Der zweite Gedenkort befindet sich im Höhenpark Killesberg. Dort spricht am Donnerstag um 17 Uhr Landesrabbiner Netanel Wurmser über den Beginn der Deportationen. Die Feierstunde findet an dem 1962 aufgestellten Gedenkstein im Höhenpark statt. Im Anschluss ist eine Gedenkveranstaltung in der Akademie der Bildenden Künste mit Oberbürgermeister Fritz Kuhn und Staatsminister Klaus-Peter Murawski geplant. Schüler der Freien Waldorfschule Kräherwald werden Gedenkprojekte vorstellen.

In der Martinskirche am Nordbahnhof befasst man sich bereits am heutigen Mittwoch mit diesem Teil der Geschichte. Das Bürgerprojekt „Die AnStifter“ und die evangelische Nordgemeinde zeigen einen Film des Regisseurs Steffen Kayser, in dem Stuttgarter Schüler in New York Hannelore Marx, einer der Überlebenden der Deportationen, begegnen. Beginn ist um 19.30 Uhr.