Sie erzählt Geschichte von einer persönlichen Ebene aus: Valerie Riedesel Foto: Lea Weidenberg © SCM Verlag

Cäsar von Hofacker (1896–1944), geboren in Ludwigsburg, gehörte zu den führenden Köpfen des 20. Juli 1944. Seine Familie büßte für das Attentat auf Hitler mit Sippenhaft. Valerie Riedesel, seine Enkelin, hat darüber ein sehr persönliches Buch geschrieben. Der Titel: „Geisterkinder“.

Stuttgart -

Frau Riedesel, was hat Sie zu einem Buch über die Verschleppung ihrer Mutter und deren vier Geschwister durch die Nazis bewogen?
Ich bin auf private Quellen gestoßen, von denen ich so begeistert war, dass ich den Entschluss fasste, diese Erlebnisse festzuhalten. Mich hat es gereizt, die Geschichte aus der Perspektive von Jugendlichen zu betrachten, die unmittelbar betroffen waren. Mir ist es ein Anliegen, dass das damalige Geschehen nicht zu den Akten gelegt wird.
Mit den Jugendlichen meinen Sie Ihre Mutter Anna-Luise und Ihre Tante Christa, die als 15- und 13-Jährige Tagebücher über ihre Erlebnisse geschrieben haben . . .
Ja, nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler wurde mein Großvater verhaftet; er war als Offizier in Paris an den Planungen maßgeblich beteiligt gewesen. Meine Großmutter und ihre fünf Kinder kamen von Krottenmühl in Bayern aus in Sippenhaft. Für sie und ihre beiden älteren Kinder begann eine Odyssee durch Gefängnisse und Konzentrationslager. Die drei Jüngeren wurden in das Kinderheim Bad Sachsa im Harz verschleppt.
Diese Tagebücher sind die Grundlage für Ihr Buch „Geisterkinder“ . . .
Ja. Per Zufall bin ich außerdem auf eine umfangreiche Korrespondenz zwischen meinem Großvater und meiner Mutter gestoßen. Meine Mutter hat davon nie erzählt, weil es sehr persönliche Briefe waren. 1943 hatte sie ihre beste Freundin bei einem Bombenagriff in Berlin verloren und war darüber zutiefst verzweifelt. Sie tauschte sich darüber mit meinem Großvater aus, der seit 1940 in Paris stationiert war. Er reagierte in einer unglaublich empfindsamen Weise auf diesen Kinderkummer. Diese Korrespondenz ist ein Schatz.
Eineinhalb Jahre später war Ihr Großvater Cäsar von Hofacker tot, gehenkt von den Nazis. Die Briefe blieben . . .
Mein Großvater konnte keinen Abschiedsbrief hinterlassen, zuletzt war er im April 1944 zu Hause, danach gab es keinen direkten Kontakt mehr zu ihm. Aber es gab die Briefe von 1943 an meine Mutter, in denen er sich mit der Frage auseinandersetzt, wie man mit dem Verlust eines geliebten Menschen fertig wird. Er nimmt damit fast seinen eigenen Tod vorweg. Dass er diese Briefe hinterlassen konnte, muss ihn während der Gestapo-Haft getröstet haben.
Hat das auch die Kinder getröstet?
Auf alle Fälle. Meine inzwischen verstorbene Mutter musste 84 Jahre alt werden, um sie öffentlich zu machen. Damit wollte sie das Andenken an meinen Großvater lebendig halten.
Sind Sie bei den Recherchen Ihrem Großvater nähergekommen?
Ja, unbedingt. Ich habe versucht, seine Entwicklung vom anfänglichen Hitler-Befürworter zu einem der führenden Köpfe des deutschen Widerstands nachzuvollziehen.
Woher kommt der Titel „Geisterkinder“?
Geisterkinder wurden die verschleppten Kinder der Widerstandskämpfer genannt, weil niemand wusste, wer sie waren. Sie durften ihre Nachnamen nicht nennen.
Zu diesen Kindern gehörte auch Berthold Maria Schenk Graf von Stauffenberg, ältester Sohn von Hitler-Attentäters Claus Schenk Graf von Stauffenberg, einem Vetter Ihres Großvaters. Unserer Zeitung sagte er, dass die Kinder in der Sippenhaft nicht schlecht behandelt wurden – so gravierend die Trennung von den Eltern war.
Das stimmt. Es gab bei den Erziehern nicht die Haltung, die sogenannten Verräterkinder schlechter zu behandeln. Der tiefere psychische Einschnitt lag darin, von heute auf morgen von den Eltern getrennt worden zu sein, ohne eine Ahnung davon zu haben, was da passiert.
Sie haben ebenfalls fünf Kinder – wie Ihre Großeltern. Ist das Thema Widerstand beim Nachwuchs noch ein Thema?
Der Älteste ist 24, die Jüngste 13. Bei Schulreferaten haben sie sich meist für das Thema Widerstand entschieden, weil sie wussten, dass ich ihnen dabei helfen kann. Jetzt sind sie dabei, mein Buch zu lesen. Ich denke, bei Ihnen wird das Wissen um die Geschichte noch reifen.