Der Kreis würde gerne am Gesundheitszentrum in Backnang einen sogenannten Gesundheitspunkt einrichten. Foto: Frank Rodenhausen

Die Vision der Gesundheitspunkte im Rems-Murr-Kreis ist vielleicht doch noch nicht vom Tisch. Ein Schreiben an die Bundesministerin soll Bewegung in die festgefahrene Debatte bringen.

Es knirscht im Fundament der Gesundheitsversorgung im Rems-Murr-Kreis – und das vernehmbar laut. Die Schließung der hausärztlichen Notfallpraxen in Schorndorf und Backnang reißt eine gefährliche Lücke in die ambulante Versorgung.

 

Seit Oktober 2023 ist die Notfallpraxis in Schorndorf bereits Geschichte. Ende Juni folgt das Aus in Backnang. Übrig bleibt nur noch eine Bereitschaftspraxis – am Rems-Murr-Klinikum in Winnenden. Eine einzige Anlaufstelle für mehr als 430 000 Menschen. Was das bedeutet, ist längst keine Theorie mehr, sondern gelebter Klinikalltag. „Unsere Notaufnahmen verzeichnen einen massiven Zulauf“, sagt der Landrat Richard Sigel. Allein in Winnenden stieg die Zahl der Notfälle im Jahr 2024 um 7000. In Prozent: plus 14. Für das Krankenhaus bedeutet das: Überlastung, Defizite, Frust.

Wenn der Arztbesuch zum Tagesmarsch wird

Was bleibt, ist ein Dammbruch in Zeitlupe. Wer sich am Wochenende bei der Gartenarbeit verletzt oder nachts mit hohem Fieber aufwacht, hat bald nur noch zwei Optionen: warten – oder sich auf den Weg nach Winnenden machen. Für viele ohne Auto keine echte Wahl. Und während die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) behauptet, es gebe „keine dauerhafte Mehrbelastung“, widerspricht die Realität: „8136 Menschen mehr seit der Schließung von Schorndorf“, so Sigel. Für ihn ist das Schönfärberei, für die Klinikleitung schlicht Hohn.

Gesundheitspunkte: Eine Idee, die gegen Paragrafen rennt

Doch der Kreis hat nicht nur kritisiert – sondern geplant. Mit einem Strategiepapier und konkreten Vorschlägen. Im Zentrum: die sogenannten Gesundheitspunkte. Interdisziplinäre Anlaufstellen, an denen medizinisches Fachpersonal erste Diagnosen stellt, Telemedizin integriert wird und Patienten gezielt weitervermittelt werden – dort, wo echte Notfälle behandelt gehören.

Angela Rothermel, Chefärztin der Notaufnahme in Schorndorf, war federführend bei der Entwicklung. Ihre Bilanz ist ernüchternd: „Es fühlt sich an, als würden wir gegen eine Betonwand rennen.“ Die Wand heißt: Paragrafen. Der geplante Einsatz von medizinischen Fachangestellten (MFA) als erste Anlaufstelle scheitert am gesetzlichen Rahmen. Denn: kein direkter Arztkontakt, keine Leistungserbringung – keine Abrechnung.

Kassenärztliche Vereinigung lehnt ab

Dabei liegen sogar Finanzierungszusagen von Stiftungen vor. Doch die Kassenärztliche Vereinigung lehnt das Modell ab: zu hohe Haftungsrisiken, kein Rechtsrahmen, keine Pilotphase. Nicht einmal ein befristeter Testlauf wurde erlaubt.

Die CDU-Bundestagsabgeordneten Inge Gräßle (links) und Christina Stumpp machen sich für ein Modellprojekt im Rems-Murr-Kreis stark. Foto: Gottfried Stoppel

Doch jetzt gibt es zarte Hoffnung – wenn Berlin mitspielt. Denn der politische Druck steigt. Mit einem Schreiben an Bundesgesundheitsministerin Nina Warken wollen nun die heimischen CDU-Bundestagsabgeordneten Inge Gräßle und Christina Stumpp den festgefahrenen Prozess doch noch in Bewegung bringen. Ihr Ziel ist, das zu ermöglichen, was Landrat Richard Sigel vorgeschlagen hat: Den Rems-Murr-Kreis als Modellregion für eine moderne, patientennahe Versorgung zu etablieren – mit den viel diskutierten Gesundheitspunkten als Herzstück.

Der Ball liegt nun im Feld der Ministerin. Gibt sie grünes Licht für ein Pilotprojekt, könnte das Konzept vielleicht doch noch Realität werden – trotz der bisherigen Blockade durch die Kassenärztliche Vereinigung. Entscheidend wird sein, ob das Bundesgesundheitsministerium bereit ist, gesetzliche Spielräume zu öffnen oder gezielt zu erweitern.

Wirtschaftliche Stabilität im Rems-Murr-Kreis gefährdet

Dass es längst nicht mehr nur um medizinische Versorgung, sondern auch um die wirtschaftliche Stabilität des Kreises geht, zeigt ein Blick in die Haushaltsbücher. Denn mit jeder Patientin, die aus Mangel an Alternativen die Notaufnahme aufsucht – und dort eigentlich nicht hingehört –, wächst das Defizit. Die Folge: Die Kommunen müssen zahlen. Und das in Zeiten knapper Kassen und wachsender Herausforderungen.

Im Strategiepapier des Kreises findet sich ein Sechs-Punkte-Plan. Darin: Ausbau der Telemedizin, neue Bildungsangebote, regionale Weiterbildungsverbünde für Mediziner. All das ist gut und wichtig – aber ohne politische Rückendeckung kaum realisierbar.

Warten auf ein Zeichen aus Berlin

Was bleibt, ist der Druck. Auf die Bundespolitik. Auf die Kassenärztliche Vereinigung. Auf die neue Ministerin. Der Ton ist rau geworden – weil es um Menschen geht. Um Eltern mit fiebernden Kindern, um Senioren mit Herzrhythmusstörungen, um Wanderer mit verstauchten Knöcheln. Um medizinische Sicherheit – nicht irgendwann, sondern jetzt.

„Hier im Rems-Murr-Kreis haben wir bereits einen Plan und kennen die Richtung“, formulieren das Gräßle und Stumpp. „Jetzt müssen wir nur noch loslaufen dürfen.“