Die Notaufnahmen in Deutschland arbeiten am Limit. Kassenärzte-Chef Andreas Gassen fordert daher eine Strafgebühr gegen Missbrauch. Sein Vorstoß stößt bei Experten jedoch auf Ablehnung. Auch Stuttgarter Kliniken kritisieren die Idee.
Kassenärzte-Chef Andreas Gassen hat eine Gebühr für Patienten gefordert, die künftig ohne vorherige telefonische Ersteinschätzung die Notaufnahme aufsuchen. „Wer weiterhin direkt dorthin geht, ohne vorher die Leitstelle anzurufen, muss gegebenenfalls eine Notfallgebühr entrichten, denn das kostet die Solidargemeinschaft unterm Strich mehr Geld und bindet unnötig medizinische Ressourcen“, sagte er am Mittwoch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Gassen will dadurch die am Limit arbeitenden Rettungsstellen der Krankenhäuser entlasten. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat der Idee aber eine Absage erteilt. Es gebe aktuell intensive Beratungen über die Neustrukturierung der Notfallversorgung in Deutschland, sagte der SPD-Politiker in Berlin. Über eine Gebühr werde aber nicht diskutiert. In Stuttgarter Kliniken stößt Gassens Vorstoß ebenfalls auf Kritik.
Welcher Laie weiß, was ein Notfall ist?
„Ich persönlich halte von einer derartigen Gebühr gar nichts“, sagt Mark Dominik Alscher, der Medizinische Geschäftsführer des Robert-Bosch-Krankenhauses (RBK) in Stuttgart. Schon allein deshalb nicht, weil damit ein erheblicher administrativer Aufwand verbunden wäre. „Wir sind im Klinikalltag durch administrative Aufgaben ohnehin genug gefordert. Wir wollen sie abbauen – und nicht neue dazubekommen“, so der Internist weiter.
Auch auf moralischer Ebene sieht Alscher große Probleme: „Diese Patienten sind in Not. Da können sie sich doch nicht noch Regelwerk durchlesen, wie sie sich verhalten sollen, sondern müssen schnell Hilfe finden.“ Medizinische Laien können seiner Ansicht nach oft nicht entscheiden, wann genau ein Notfall vorliegt.
Wochenlang kein Termin in einer Praxis
Als „irreführend und gefährlich“ hat der Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen (Grüne) die Gebühren-Idee zurückgewiesen. Schon heute fänden vielerorts Menschen mit einfachen medizinischen Problemen wochenlang keinen Termin in einer Praxis. „Die derzeit lückenhafte, insbesondere hausärztliche Grundversorgung lässt manches medizinische Problem überhaupt erst zum Notfall werden“, sagte Dahmen in Berlin.
Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Jan Steffen Jürgensen, Medizinischer Vorstand und Vorstandsvorsitzender am Klinikum Stuttgart: „Ein Besuch der Notaufnahme ist in der Regel keinesfalls eine bequeme Alternative zum Praxisbesuch. Alle Patienten haben subjektiv ernsthaften Leidensdruck und Sorgen.“ Zwar bestehe bei etwa 40 Prozent der ambulanten Notfallpatienten im Klinikum Stuttgart nach ärztlicher Einschätzung in der Tat keine dringliche Behandlungsnotwendigkeit: „Etwa 45 Prozent der vorstelligen Patienten werden jedoch stationär aufgenommen. Eine relevante Behandlungsindikation wird also bestätigt“, so Jürgensen weiter.
Laut Stephan Rauscher, Chefarzt der Zentralen Notaufnahme am Diakonie-Klinikum Stuttgart, gibt es zwar Patienten, die das System ausnutzen, die ohne Dringlichkeit in die Notaufnahme kommen: „Die erreicht man mit einer Strafgebühr aber nicht.“ Stattdessen treffe man die Falschen, nämlich verunsicherte Menschen in Notlagen.
Telefonische Beratung sinnvoll
Gassen argumentierte derweil, derartigen Gebühren werde immer vorgeworfen, sie seien unsozial. „Unsozial ist in meinen Augen jedoch, den Notdienst unangemessen in Anspruch zu nehmen und damit das Leben anderer Menschen zu gefährden“, betonte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Er fügte hinzu: „Wer noch selbst in eine Notaufnahme gehen kann, ist oft kein echter medizinischer Notfall.“ Er begrüßte zugleich die Pläne von Gesundheitsminister Lauterbach, den Rettungsdienst unter 112 und den ärztlichen Bereitschaftsdienst unter 116 117 virtuell zusammenzuschalten, um dort eine Ersteinschätzung vorzunehmen und den Anrufenden richtig zu leiten.
Hürden verschlechtern Prognose
„Die Gesundheitsversorgung sollte möglichst ohne größere Hürden in Anspruch genommen werden. Notaufnahmegebühren könnten zum fatalen Verschleppen von Warnsymptomen führen und die Prognose verschlechtern“, kritisiert Jan Steffen Jürgensen vom Klinikum Stuttgart. Eine vorherige telefonische oder telemedizinische Beratung hält aber auch er grundsätzlich für sinnvoll: „Wenn das Serviceniveau hoch ist, man also nicht lang in Warteschleifen steckt, wird die Akzeptanz und freiwillige Nutzung sicherlich steigen.“ Somit sei auch die von Lauterbach geplante Zusammenführung der 112 und 116117 hilfreich. Sein Kollege Mark Dominik Alscher vom RBK fügt allerdings hinzu, dass die Rufdienste dann künftig auch qualifiziert besetzt sein müssten.
Welcher Laie weiß, was ein Notfall ist?
„Ich persönlich halte von einer derartigen Gebühr gar nichts“, sagt Mark Dominik Alscher, der Medizinische Geschäftsführer des Robert-Bosch-Krankenhauses (RBK) in Stuttgart. Schon allein deshalb nicht, weil damit ein erheblicher administrativer Aufwand verbunden wäre. „Wir sind im Klinikalltag durch administrative Aufgaben ohnehin genug gefordert. Wir wollen sie abbauen – und nicht neue dazubekommen“, so der Internist weiter.
Auch auf moralischer Ebene sieht Alscher große Probleme: „Diese Patienten sind in Not. Da können sie sich doch nicht noch Regelwerk durchlesen, wie sie sich verhalten sollen, sondern müssen schnell Hilfe finden.“ Medizinische Laien können seiner Ansicht nach oft nicht entscheiden, wann genau ein Notfall vorliegt.
Wochenlang kein Termin in einer Praxis
Als „irreführend und gefährlich“ hat der Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen (Grüne) die Gebühren-Idee zurückgewiesen. Schon heute fänden vielerorts Menschen mit einfachen medizinischen Problemen wochenlang keinen Termin in einer Praxis. „Die derzeit lückenhafte, insbesondere hausärztliche Grundversorgung lässt manches medizinische Problem überhaupt erst zum Notfall werden“, sagte Dahmen in Berlin.
Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Jan Steffen Jürgensen, Medizinischer Vorstand und Vorstandsvorsitzender am Klinikum Stuttgart: „Ein Besuch der Notaufnahme ist in der Regel keinesfalls eine bequeme Alternative zum Praxisbesuch. Alle Patienten haben subjektiv ernsthaften Leidensdruck und Sorgen.“ Zwar bestehe bei etwa 40 Prozent der ambulanten Notfallpatienten im Klinikum Stuttgart nach ärztlicher Einschätzung in der Tat keine dringliche Behandlungsnotwendigkeit: „Etwa 45 Prozent der vorstelligen Patienten werden jedoch stationär aufgenommen. Eine relevante Behandlungsindikation wird also bestätigt“, so Jürgensen weiter.
Laut Stephan Rauscher, Chefarzt der Zentralen Notaufnahme am Diakonie-Klinikum Stuttgart, gibt es zwar Patienten, die das System ausnutzen, die ohne Dringlichkeit in die Notaufnahme kommen: „Die erreicht man mit einer Strafgebühr aber nicht.“ Stattdessen treffe man die Falschen, nämlich verunsicherte Menschen in Notlagen.
Telefonische Beratung sinnvoll
Gassen argumentierte derweil, derartigen Gebühren werde immer vorgeworfen, sie seien unsozial. „Unsozial ist in meinen Augen jedoch, den Notdienst unangemessen in Anspruch zu nehmen und damit das Leben anderer Menschen zu gefährden“, betonte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Er fügte hinzu: „Wer noch selbst in eine Notaufnahme gehen kann, ist oft kein echter medizinischer Notfall.“ Er begrüßte zugleich die Pläne von Gesundheitsminister Lauterbach, den Rettungsdienst unter 112 und den ärztlichen Bereitschaftsdienst unter 116 117 virtuell zusammenzuschalten, um dort eine Ersteinschätzung vorzunehmen und den Anrufenden richtig zu leiten.
Hürden verschlechtern Prognose
„Die Gesundheitsversorgung sollte möglichst ohne größere Hürden in Anspruch genommen werden. Notaufnahmegebühren könnten zum fatalen Verschleppen von Warnsymptomen führen und die Prognose verschlechtern“, kritisiert Jan Steffen Jürgensen vom Klinikum Stuttgart. Eine vorherige telefonische oder telemedizinische Beratung hält aber auch er grundsätzlich für sinnvoll: „Wenn das Serviceniveau hoch ist, man also nicht lang in Warteschleifen steckt, wird die Akzeptanz und freiwillige Nutzung sicherlich steigen.“ Somit sei auch die von Lauterbach geplante Zusammenführung der 112 und 116117 hilfreich. Sein Kollege Mark Dominik Alscher vom RBK fügt allerdings hinzu, dass die Rufdienste dann künftig auch qualifiziert besetzt sein müssten.