Der Dampfzug Feuriger Elias erfreut sich großer Beliebtheit, hier im Bahnhof Korntal. Foto: factum/

Nach einem tödlichen Unfall und einer entgleisten Lok machten sich im vergangenen Jahr viele Sorgen um den Dampfzug im Strohgäu. Doch nun läuft der Betrieb besser denn je. Wir sind mitgefahren.

Korntal-Münchingen - Der Dampfzug ist nicht zu überhören: Mit lautem Pfeifen verkündet die 1937 in Esslingen erbaute Lokomotive ihre Abfahrt. Bahnhof Korntal, 8.45 Uhr: Statt roter S-Bahnen oder der gelb-grünen Strohgäubahn steht auf dem Gleis ein zischender, schwarzer Koloss, der den zahlreichen Kindern jedoch keine Angst in den Waggons einflößt. Sondern glänzende Augen und offene Münder erzeugt.

Was macht die Faszination dieser 180 Jahre alten Technologie aus? Martin Jenner muss schmunzeln. „Diese Frage wird mir oft gestellt, und ich gebe jedes Mal eine andere Antwort.“ Er war lange im Vorstand der Gesellschaft zur Erhaltung der Schienenfahrzeuge (GES), die den historischen Dampfzug betreut. Dann sagt er: „Es begeistert mich einfach, die historische Eisenbahntechnik auch für kommende Generationen bewahren.“

Wenn Kinderträume wahr werden

Vielleicht aber ist es einfach nur der Wunschtraum eines kleinen Jungen, der im erwachsenen Mann wieder zu Leben erwacht. Im Hauptberuf ist Martin Jenner Ingenieur bei Bosch, jetzt in Altersteilzeit. Heute hat er ein historisches Schaffner-Kostüm an, kontrolliert Tickets und beantwortet alle Fragen der Passagiere. Die haben sich um 9 Uhr schon reichlich eingefunden, kaum ein Platz ist frei.

Marcus Keller (43) hat mit Eisenbahntechnik nichts am Hut, er ist gelernter Schreiner. Doch er hat seinen Beruf aufgegeben und ist jetzt echter Lokomotivführer. Ein Geschenk für den 300 Mitglieder starken Verein, denn die Sitzmöbel und das Interieur der alten Waggons müssen praktisch immer wieder geflickt werden. Keller gehört zu den jüngeren und neueren Mitstreitern – erst seit zwei Jahren ist er dabei.

Frank Schiller heizt kräftig ein

Erneut pfeift die Lok. Frank Schiller (48) und Heiko Waiß (32) sitzen im Lokstand. Schiller ist der Heizer und schaufelt die Kohlen ins Feuer, Waiß macht die Dampflok Nr. 64 bereit zur Abfahrt. „Eigentlich ist das nicht unsere eigene Lok“, sagt Schiller. Diese ist nur geliehen, die vereinseigene Zugmaschine Nr. 16 wird wohl zur Adventsfahrt nach vier Jahren Restaurierung wieder in Betrieb gehen.

Dann geht es los, langsam setzt das markante „Tschi ... tschi ... tschi ...“ ein, bei dem man unwillkürlich das Kinderlied anstimmen will: „... die Eisenbahn, wer will mit nach Weissach fahr’n?“ Langsam rollt der Zug los, die Lok Nr. 64 tuckert wie eine Eins. Der Zug ist voll besetzt, die Sonne taucht die dicht besetzten Kornfelder des Strohgäus in eine goldene Sommerstimmung.

Dass alles so gut läuft, ist keine Selbstverständlichkeit. Am Maifeiertag 2018 ist ein 59-jähriger Eisenbahnfan ums Leben gekommen. Die GES-Betreiber traf keine Schuld, befand die Staatsanwaltschaft, der Mann sprang regelwidrig auf den anfahrenden Zug. Beim nächsten Betriebstag sprang die Lok unmittelbar nach der Werkstatt aus dem Gleis. Mancher Bahnfan sorgte sich um die Zukunft.

„Das ist jetzt kein Thema mehr“, sagt Martin Jenner, „aber wir haben eines gelernt: Aufpassen, aufpassen, aufpassen.“ Sicherheit habe oberste Priorität, man sei bei jedem Betriebstag mit ausreichend Personal vor Ort. Das Eisenbahnbundesamt nimmt regelmäßig die Anlagen ab, die Lok wurde erst im Mai in ihre Kernelemente und Bremsgestänge zerlegt und durchgecheckt.

Winkende Menschen und Trainspotter

Erster Halt Münchingen, das Rattern wird langsamer. Einige Passiere steigen aus, die meisten wollen aber bis Weissach fahren. Vorbei an einem Turnier des Reit- und Fahrvereins Münchingen und heftig winkenden Zuschauern geht es weiter. An prägnanten Höhenzügen finden sich zahlreiche Trainspotter, die mit Stativen und Objektiven ein Bild des Zuges einfangen. In Schwieberdingen muss der Feurige Elias erst mal pausieren. Gegenverkehr: Die moderne Strohgäubahn rollt vorbei, die Strecke ist nur eingleisig. Im Hemminger Neubaugebiet winken die Bewohner aus ihren frisch fertiggestellten Häusern.

Die Zeit vergeht langsamer

Der Zuglenker Heiko Waiß aktiviert bei jedem P-Schild an der Strecke die Pfeife des Zuges, so ist es vorgeschrieben. Vor allem ab Heimerdingen, wo es keinen regulären Zugbetrieb mehr gibt, ist das ein wichtiges Warnsignal für Autofahrer und Fußgänger. Ob sich eine Lösung findet, die Strohgäubahn wieder bis Weissach fahren zu lassen?

Der rauchige Geschmack des Dampfes durchdringt jede Pore. Vorbei an Feldern und Wäldern mit Tempo 40, die Zeit scheint langsamer zu vergehen, die Gedanken schweifen ab. Nach einer Stunde kommt der Zug an. Martin Jenner ist zufrieden. Der Trend zur Nostalgie ist ungebrochen.