Siemens-Umspannplattform neben Windpark in der Nordsee. Die Zukunft der Windenergie vor den deutschen Küsten sieht neuerdings wieder etwas rosiger aus. Foto: Rosenberger

50 Kilometer vor den deutschen Küsten entsteht eines der neuen Kraftzentren der Bundesrepublik. Hunderte Windräder sollen hier in wenigen Jahren Strom für ganz Deutschland liefern. Wir erklären die Offshore-Technik in einer interaktiven Grafik.

Hamburg - 50 Kilometer vor den deutschen Küsten entsteht eines der neuen Kraftzentren der Bundesrepublik. Hunderte Windräder sollen hier in wenigen Jahren Strom für ganz Deutschland liefern und auslaufende Kernmeiler ersetzen. Ein Besuch auf hoher See.

Wie Rasenmäher heulen die Triebwerke der kleinen, zweimotorigen Maschine auf. Seit einer dreiviertel Stunde kämpft sich das Flugzeug von Böen hin- und hergerissen hinaus auf die Nordsee. Von Hamburg aus, der Elbe folgend, übers Wattenmeer und weiter über die grau melierte Flachwasserzone. Dahinter ändert sich die Farbe des Meeres in strahlendes blau.

Wo in Nord- und Ostsee überall Offshore-Windanlagen stehen und in den kommenden Jahren gebaut werden, sehen Sie in unserer Karte.


Offshore-Windparks auf einer größeren Karte anzeigen

Die Hochsee ist erreicht und damit eines der neuen Kraftzentren Deutschlands. Hier – rund 50 Kilometer vor der deutschen Nordseeküste – sollen in den nächsten Jahren Hunderte Windräder in den Meeresboden gerammt werden. Im Jahr 2020 sollen sie jährlich in etwa so viel Strom liefern, wie zwei Kernkraftwerke. Zehn Jahre später soll die Energieerzeugung der Windmühlen die Menge aller derzeit in Deutschland verbliebenen Kernmeiler erreicht haben.

Gut 150 Anlagen, die mit über 150 Metern teilweise höher sind als der Kölner Dom, stehen schon. Ein Teil davon taucht gerade am Horizont auf. Der Pilot verringert den Schub und lässt die Maschine durchsacken, um die Windparks direkt zu überfliegen. Der Energieriese RWE, sowie mehrere Finanzinvestoren, darunter das US-Schwergewicht Blackstone, haben hohe Millionenbeträge in Lars, Vivien, Koos, Kristen und Lara – jedes Windrad trägt einen Namen – investiert. Gelockt wurden sie von staatlichen Versprechen auf satte Vergütungen für Meeresenergie und hohe Renditen auf die Bereitstellung der Netze. Zu kurz kam dabei, dass die Windkraft einer der kniffeligsten Teile der Energiewende ist. Daran ändern auch die niedlichen Kosenamen auf den Turbinen nichts.

Wie funktioniert Offshore? Klicken Sie sich durch unsere interaktive Grafik.

Als die Bundesregierung im Jahr 2002 in ihrer Offshore-Strategie die Ziele für den Ausbau der Küsten-Windkraft festlegte, war allen Experten klar, dass man sich im wahrsten Sinne des Wortes weit hinaus wagte. Bis dato hatte noch niemand turmhohe Windmaschinen in die hohe See verpflanzt. Dass der Wellengang dort zehn Meter betragen kann, der Salzfraß massiven Stahl im Rekordtempo annagt und die Meeresluft die empfindliche Elektronik der Anlagen in Mitleidenschaft zieht, war zwar bedacht worden. Dass die technologische Hürden aber derart massiv sein würden, hatten die Wenigsten auch nur in Erwägung gezogen – immerhin gab es in Großbritannien und Dänemark ja schon Windfarmen, wenn auch kleiner und viel näher an den schützenden Küsten.

Es kam wie es kommen musste. Erst fehlten Kranschiffe, um die Anlagen zu montieren. Dann hielten die Fundamente den rauen Bedingungen der hohen See nicht Stand. Als diese Probleme abebbten, brandeten Proteste von Naturschützern auf, die sich ums Leben von Robben und Schweinswalen sorgten. Infolge der Finanzkrise ging manchen Investoren das Geld aus, Projektentwickler rutschten in die Insolvenz und eine endlose Kostendebatte verunsicherte die Öffentlichkeit. Kurz: Noch vor einem Jahr drohte das Projekt Küstenstrom zu scheitern.

Tief in der Nordsee und wenige Monate später ist davon wenig zu spüren. Rund 23 Kilometer nördlich von Helgoland kreuzt ein Dutzend Schiffe und Tender durch den Windpark Meerwind Süd-Ost. Der Bau des 40 Quadratkilometer großen Areals ist in der Endphase. Im Juli 2013 wurde das erste 150-Meter-Windrad installiert, und noch in diesem Jahr soll die letzte der 80 Anlagen in Betrieb gehen. Jedes einzelne der von Siemens gebauten Windräder wird dann Strom für rund 4500 Haushalte liefern. „Wir sind hier ein großes Stück weitergekommen“, sagt Michael Hannibal, Chef der Windkraft-Sparte von Siemens.

Unternehmen sind erleichtert, dass der Ausbau voranschreitet

Dem langjährigen Wind-Manager ist die Erleichterung anzusehen, dass sich weit draußen in der Nordsee so langsam etwas dreht. Jeder Windpark, dem die Investoren nach Jahren des Zögerns grünes Licht geben, bedeutet für Anlagenbauer wie Siemens, Areva und Co. klingelnde Kassen. Nachdem die Firmen in den letzten Jahren wegen Verzögerungen und technischen Problemen Milliarden im Nordseeschlick versenkt haben, heißt es nun in der Branche, dass sich die Vorzeichen wieder aufhellen. Im Frühjahr hatten sich Bund und Länder zur Offshore-Windkraft bekannt, nachdem monatelang unklar war, ob das Land von der Technologie abrücken würde. Führende Ausrüster wie Siemens, Areva oder Tennet, aber auch die strauchelnden deutschen Energiekonzerne können seit damals aufatmen.

In der Branche spricht man nun von Finanzierungszusagen, die anstünden und einer „zweiten Welle“ von Milliardeninvestitionen, die sich anbahne. Positive Signale gebe es von mehreren Seiten, heißt es von der Stiftung Offshore-Windenergie, der Interessenvertretung der Branche. Auch Investoren wie Vattenfall oder die EnBW, die in der Ostsee bereits seit rund zwei Jahren einen Windpark betreibt, engagieren sich dem Vernehmen nach wieder stärker.

Besonders der Weltmarkt ist es, der die deutschen Hochsee-Pioniere lockt. Allein in Europa haben 18 Länder den Aufbau von Offshore-Windfarmen geplant. Auch in Asien und den USA setzen die Regierungen in großem Stil auf die saubere Energiequelle. Insgesamt soll in den nächsten Jahrzehnten nach Daten des europäischen Windverbands EWEA eine Leistung von gut 160 Gigawatt in den Weltmeeren installiert werden.

Offshore ist teuer

Ob die Pläne allerdings auch umgesetzt werden, ist eine ganz andere Frage. In Europa ist grade mal ein Vierzehntel der geplanten Anlagen in Betrieb oder im Bau. In den USA ist der Anlagenneubau im Jahr 2013 quasi auf Null zurückgegangen und auch der größte Off-Shore-Markt China wuchs zuletzt nicht mehr. Neben billigen Öl- und Gaspreisen sowie einer in vielen Ländern sprunghaften staatlichen Förderpolitik, sind es vor allem die immer noch immensen Kosten der Off-Shore-Technik, die den Neubau bremsen. Ein Windpark auf hoher See, der mit 800 Megawatt ungefähr die Leistung eines Kohlekraftwerks aufweist kostet inklusive der nötigen Umspann- und Transformatorplattformen sowie der Kabelverbindung an Land nach Expertenschätzungen etwa 4,5 Milliarden Euro. Das ist etwa vier bis fünf Mal so viel wie für die entsprechende Technik am Festland fällig würde. Der Verbraucherzentrale Bundesverband geht davon aus, dass die jährliche Stromrechnung einer Familie allein durch die Umsetzung der deutschen Offshore-Ziele um 45 Euro pro Jahr steigen wird.

Die Hersteller, allen voran Branchenprimus Siemens, ficht das nicht an. Der Industrie sei es bisher gelungen, die Kosten der Anlagen jedes Jahrzehnt um 40 Prozent zu senken, sagt Tim Dawidowski, der bei Siemens den Bereich Power Transmissions leitet. Die „Lernkurve sei enorm“, und der Prozess gehe weiter. Vor allem in der Industrialisierung der Anlagenfertigung sieht er erhebliche Einsparpotenziale. Bis zum Jahr 2020 sollen die Kosten für eine Kilowattstunde Meeresstrom auf zehn Cent gedrückt werden.

Ob das reicht, ist allerdings umstritten. Denn vor allem Windräder an Land produzieren Strom an guten Standorten – etwa in Dänemark oder Marokko – derzeit schon zu Spottpreisen. 4 bis 5 Cent kostet hier die Kilowattstunde. Gelinge es nicht, preislich aufzuschließen, werde die Meeres-Windkraft eine Technologie für dicht besiedelte High-Tech-Nationen wie Japan bleiben, sagen Kritiker. Oder für Länder wie Deutschland, die sie sich um jeden Preis leisten wollen.