Viele jesidische Familien im Nordirak leben in Flüchtlingscamps Foto: dpa

Jesidinnen mit Kindern von IS-Kämpfern dürfen doch nicht mit ihren Kindern in ihre Gemeinschaft zurückkehren. Am Wochenende haben die Führer der religiösen Minderheit ihre historische Entscheidung rückgängig gemacht.

Dohuk/Stuttgart - Drei Tage lang durften jesidische Frauen und Kinder in Syrien auf eine Rückkehr zu ihren Familien und in ihre Gemeinschaft hoffen. Nach tagelangen Verhandlungen hatte der Hohe Jesidische Geistliche Rat, das oberste religiöse Gremium, am vergangenen Mittwochin der nordirakischen Stadt Dohuk erklärt, „dass alle befreiten Personen aufgenommen werden, die traumatisiert und ohne ihren eigenen Willen und gewaltsam zu Handlungen gezwungen wurden. Wir erklären ausdrücklich, dass wir alle Befreiten mit Stolz, Würde, Menschlichkeit und Transparenz behandeln werden.“

Doch am Wochenende nahm der Rat seine Entscheidung zurück. „Wir meinen nicht die Kinder, die durch Vergewaltigung geboren waren, sondern diejenigen, die von jesidischen Eltern geboren waren und am 03.08.2014 aus dem Gebirge Sindschar entführt wurden“, heißt es in der Erklärung, die die Führer der religiösen Minderheit am 27. April verabschiedet haben. Alles andere „widerspricht den Grundprinzipien der Jesidischen Religion und ihren sozialen Normen“.

Tausende Frauen vergewaltigt

Für viele Jesidinnen in Syrien ist die Erklärung der religiösen Führer ein Schlag ins Gesicht. Denn damit ist ihr Schicksal und das ihrer Kinder wieder völlig ungewiss. Bei der Eroberung des Nordiraks 2014 waren die Truppen des selbst ernannten Islamischen Staates mit ungeheurer Brutalität gegen die alteingesessene religiöse Minderheit der Jesiden, vorgegangen. Sie brachten Männer um und verschleppten Frauen und Kinder. Tausende Mädchen und Frauen wurden von den IS-Kämpfern vergewaltigt und verkauft. Viele wurden schwanger. Bekannt sind etwa 200 Kinder, die Dunkelziffer dürfte weit höher sein. Ein Teil der Frauen konnten flüchten, ein Teil kam nach der militärischen Niederlage des IS in Syrien Ende März frei.

Landesregierung bedauert Entscheidung

„Wir bedauern den Widerruf zutiefst, für die betroffenen Frauen und Kinder ist das eine katastrophale Nachricht“, sagte die baden-württembergische Staatsministerin Theresa Schopper (Grüne) am Montag. Vor zehn Tagen hatte sie bei Gesprächen mit Vertretern des Hohen Rates auf ein humanitäres Signal gegenüber den traumatisierten Frauen und Kinder gedrängt. „Die Frauen und Kinder erfahren nun nach ihrem Martyrium der IS-Gefangenschaft eine neuerliche Ausgrenzung. Wir bitten den Hohen Rat darum, den Umgang mit diesen Müttern und Kindern im Sinne einer humanitären Lösung noch einmal zu überdenken.“

Jan Ilhan Kizilhan appellierte an die Jesiden im Irak und im Ausland, den Frauen und ihren Kindern zu helfen. Der Psychologieprofessor an der Hochschule Villingen-Schwenningen, der selbst aus einer jesidischen Familie stammt, hat mit Unterstützung des Landes Baden-Württemberg in Dohuk ein Institut zur Ausbildung von Psychotherapeuten aufgebaut, die sich um traumatisierte Frauen und Kinder kümmern. „ Es kann nicht sein, dass die Jesiden Hilfe vom Ausland fordern, während sie ihre eigenen Kinder aus religiöser Engstirnigkeit von sich selbst ausstoßen und vielleicht noch verlangen, das andere sich um sie kümmern“, sagte Kizilhan. Er appellierte an die irakische und die kurdische Regierung in Bagdad und Erbil, den Frauen das Recht zu geben, ihre Kinder so zu registrieren, wie sie es wollten, und ihnen Schutz zu gewähren. Nach irakischem Recht sind Kinder mit einem muslimischen Vater ebenfalls Muslime. Zudem forderte Kizilhan die internationale Gemeinschaft auf, die Stellungnahme des Hohen Rates „nicht als eine interne Angelegenheit zu akzeptieren, da es um Schutz und Hilfe von Frauen geht, die am meisten Hilfe benötigen und allein nicht in der Lage sind sich und ihren Kindern zu schützen“.

Machtkampf zwischen Stämmen

Mit der Entscheidung gegen die Aufnahme der Kinder haben sich einige Führer und Gruppen der Jesiden durchgesetzt, die an den strengen Regeln festhalten. Nach diesen ist nur Jeside, wer jesidische Eltern hat. Eine Heirat mit Angehörigen anderer Religionen führt zum Ausschluss aus der Gemeinschaft. Seit dem Tod des weltlichen Oberhaupts der Jesiden Ende Januar gibt es Auseinandersetzungen um seine Nachfolge. Viele Jesiden, vor allem im Ausland, hoffen auf eine Reform der 4000 Jahre alten Glaubensgemeinschaft.