Das Geistlichen Oberhaupt der Jesiden, Baba Scheich, empfängt die Ministerinnen Theresia Bauer und Theresa Schopper und der Psychologieprofessor Jan Ilhan Kizilhan. Foto: Wetzel

Die geistlichen Führer der Jesiden im Nordirak haben eine historische Entscheidung getroffen: Jesidinnen mit Kindern von IS-Kämpfern können zu ihren Angehörigen zurückkehren. Das war ihnen bisher nicht gestattet.

Erbil/Stuttgart - Jesidinnen mit Kindern von IS-Kämpfern werden nicht länger verstoßen. Der geistliche Rat und das geistige Oberhaupt der Jesiden im Nordirak haben sich dafür ausgesprochen, nicht nur die jesidischen Frauen aus IS-Gefangenschaft mit offenen Armen zu empfangen, sondern auch deren Kinder willkommen zu heißen. „Der Hohe Jesidische Geistliche Rat hat eine religiöse Entscheidung getroffen, dass alle befreiten Personen aufgenommen werden, die traumatisiert und ohne ihren eigenen Willen und gewaltsam zu Handlungen gezwungen wurden“, heißt es in der Erklärung, die unserer Redaktion vorliegt. „Wir erklären ausdrücklich, dass wir alle Befreiten mit Stolz, Würde, Menschlichkeit und Transparent behandeln werden.“

Dieser Schritt ermöglicht vielen jesidischen Frauen in Syrien eine Rückkehr zu ihren Angehörigen im Irak. 2014 hatte die Terrormiliz Islamischer Staat im Nordirak einen Völkermord gegen die Jesiden, eine religiöse Minderheit, begonnen. Die IS-Krieger töteten tausende Männer und verschleppten und versklavten schätzungsweise 6500 Frauen und Mädchen. Nachdem die Islamisten Ende März ihre letzte Hochburg in Syrien verloren haben, kamen viele Jesidinnen frei.

Tabu gebrochen

Allerdings konnten sie nach bisheriger Rechtslage ihre in Gefangenschaft geborenen Kinder nicht zu ihren Familien mitnehmen. Denn nach irakischem Recht sind diese Kinder Muslime wie ihre Väter. Viele Jesiden ihrerseits wollten die muslimischen Kinder nicht aufnehmen, weil das ihren religiösen Vorschriften widerspricht. Die alte jesidische Gemeinschaft akzeptiert nur Jesiden, deren beider Elternteile Jesiden sind. Nach Schätzungen geht es um mindestens 200 Kinder.

Der religiösen Führer der Jesiden fordern nun außerdem die „die internationale Gemeinschaft und deren Institutionen auf, uns dabei zu unterstützen und behilflich zu sein, um die Befreiten durch besondere Programme in der Gesellschaft zu rehabilitieren und zu integrieren“.

Ministerinnen drängten auf Hilfe

Bei Gesprächen mit jesidischen Religionsführern im Nordirak in der vergangenen Woche hatten die baden-württembergischen Ministerinnen Theresa Schopper und Theresia Bauer (beide Grüne) auf eine Lösung zugunsten der traumatisierten Frauen und Kinder gedrängt. „Ich bin erleichtert, dass es nun gelungen ist, für diese Frauen und Kinder Sicherheit zu schaffen“, sagte Schopper am Donnerstag. „Es ist wichtig, dass sie in ihre Familien wieder aufgenommen werden und in ihrer Glaubensgemeinschaft bleiben können.“

„Wir hoffen, dass nun die Jesiden im Irak und Syrien den Frauen und Kindern helfen und wir sie im Nordirak psychosozial versorgen können“, sagte auch Psychologieprofessor Jan Ilhan Kizilhan, der sich seit langem für die Frauen und Kinder einsetzt. Bisher sei die Gefahr sehr groß gewesen, dass sie abgelehnt würden. Zudem sei ein Abkommen notwendig zwischen der irakischen Regierung in Bagdad sowie der Kurdischen Selbstverwaltung im Nordirak und in Nordsyrien. Hier könnte die UN vermitteln „und die Frauen den Familien übergeben oder sie in sichere Orten bringen, damit sie versorgt werden können.“

Baden-Württemberg unterstützt Dohuk

„Dieser Akt der Barmherzigkeit ist ein Sieg der Menschlichkeit über die Gräueltaten, Verschleppungen und Vergewaltigungen der IS-Herrschaft in Syrien und im Irak“, sagte der migrationspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Landtag, Daniel Lede Abal. „Dies zeigt: Der weltweite Einsatz für Menschenrechte lohnt sich – auch auf Landesebene.“

Baden-Württemberg hatte 2015 rund 1000 traumatisierte Jesidinnen mit Kindern aufgenommen. Zudem unterstützte das Wissenschaftsministerium die Initiative der Professors an der Hochschule Villingen-Schwenningen, in der nordirakischen Stadt Dohuk ein Institut zur Ausbildung von Psychotherapeuten und Psychotraumatologen aufzubauen. Die Kursteilnehmer arbeiten bereits in den Flüchtlingslagern.

Am Dienstag hatte die Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad im UN-Sicherheitsrat ein „kollektives Versagen“ der Weltgemeinschaft angesichts der von IS-Dschihadisten verübten sexuellen Gewalt gegen die Jesidinnen beklagt. Murad, die selber Jesidin ist, war von Milizionären des Islamischen Staats verschleppt und missbraucht worden, konnte aber fliehen. Bislang sei kein einziger Täter verurteilt worden, kritisierte die UN-Sonderbotschafterin.