Im September hat der Unternehmer Rüdiger Stihl einen neuen Anlauf für seine Nord-Ost-Ring-Vision für Stuttgart genommen. Jetzt, fast ein halbes Jahr später, will sich Fellbach mit den Vorschlägen befassen. Von einer ergebnisoffenen Diskussion kann allerdings keine Rede sein.
Noch in diesem Monat wird sich die Stadtpolitik in Fellbach (Rems-Murr-Kreis) wieder einmal mit den Plänen für einen Nord-Ost-Ring befassen. Diskutiert werden soll die Idee, das seit den 1970er-Jahren immer wieder aus der Versenkung auftauchende Straßenbauprojekt in einer Tunnelvariante unter dem Erdboden zu realisieren.
Die Vision von einer tiefergelegten Leitung der Verkehrsströme hatte der Unternehmer Rüdiger Stihl bereits vor der Coronapandemie ins Gespräch gebracht und jetzt erneut aus der Schublade gezogen. Seit September läuft die Kampagne für einen „Grünen Tunnel“, im Schulterschluss mit namhaften Wirtschaftsführern aus der Region rührt der Spross der Motorsägen-Dynastie die Werbetrommel für eine leistungsstarke Straßenverbindung zwischen der B 14 im Rems-Murr-Kreis und der B 27 im Nachbarkreis Ludwigsburg.
Neben großformatigen Plakaten, Radio-Spots und Zeitungsanzeigen prangt der „Grüne Tunnel“ auch auf den Trikots der Bundesliga-Handballer vom TBV Stuttgart – den Platz, den früher die in eine wirtschaftliche Schieflage gerutschte Immobilienfirma Wohninvest gebucht hatte, sicherte sich die Stihl-Initiative für eine öffentliche Meinungsbildung.
Als Zustimmung darf die Funkstille im Rathaus nicht verstanden werden
In Fellbach, seit Jahren als strikter Gegner jedweder Straßenbauprojekte übers Schmidener Feld in Richtung Neckartal bekannt, hatte die neu aufgeflammte Diskussion in den vergangenen Monaten keinerlei Reaktion ausgelöst – was mit Blick auf die bisher vehemente Ablehnung der Nord-Ost-Ring-Ideen bei Beobachtern durchaus für Stirnrunzeln sorgte. Als Beleg, dass eine mehrspurige Schnellstraße unterm Kappelberg plötzlich auf Zustimmung stoßen könnte, darf die vermeintliche Funkstille im Rathaus freilich keineswegs missverstanden werden.
Im Gegenteil: Dass die Stihl-Pläne jetzt im Gemeinderat diskutiert werden sollen, ist wohl nur dem Wunsch geschuldet, mit einer erneut geschlossenen Ablehnung ein deutliches Zeichen gegen einen Nord-Ost-Ring zu setzen. Angesetzt ist die Sitzung auf den 28. Januar. Doch schon im Vorfeld teilt die Stadtverwaltung mit, dass von einer ergebnisoffenen Auseinandersetzung eher nicht die Rede sein kann – und die Idee vom grünen Tunnel die Stimmungslage in der Kommunalpolitik nicht zum Kippen bringen.
Fellbachs Oberbürgermeisterin Gabriele Zull jedenfalls kanzelt die Vision von der unter die Erde verlegten Schnellstraße schon im Vorfeld als Rohrkrepierer ab. „Der Straßenbau würde eine der letzten Freiflächen im Norden Fellbachs vernichten, unsere Bevölkerung über Jahre oder Jahrzehnte mit Baustellen belasten, hochwertige Böden vernichten und gefährdeten Tier- sowie Pflanzenarten die Lebensgrundlage entziehen. Hier von einem ‚grünen Projekt‘ zu sprechen, ist Augenwischerei“, erklärt die Rathauschefin.
Aus Sicht der Stadt nämlich liefert die neu aufgelegte Kampagne keinerlei neue Argumente – und schon gar keine Pluspunkte für einen Straßenbau. „Die Fakten liegen seit Jahren auf dem Tisch, ein Erkenntnisgewinn ist mit der Kampagne nicht verbunden“, urteilt die im Herbst wiedergewählte Oberbürgermeisterin. Schon die bisher letztmalige Prüfung im Jahr 2020 habe dem Straßenbauprojekt einen „großen Flächenverbrauch ohne nachweisbaren verkehrlichen Nutzen“ bescheinigt.
Der Faktencheck sah keine nachhaltige Verbesserung
Tatsächlich gab es vor fünf Jahren auf Initiative des baden-württembergischen Verkehrsministers Winfried Hermann (Grüne) in Sachen Nord-Ost-Ring einen ausgiebigen Faktencheck. Die Argumente für und gegen den Bau wurden gesammelt und von Experten bewertet. Eines der Ergebnisse war, dass der Brückenschlag zwischen Fellbach und Kornwestheim (Kreis Ludwigsburg) ohne den Bau einer neuen Filderauffahrt keine nachhaltige Verbesserung des Verkehrsflusses bewirken würde.
Statt Pendlern in der Region eine schnellere Anfahrt zum Arbeitsplatz zu ermöglichen, werde der Ringschluss vor allem als Autobahn-Bypass genutzt werden – und wegen der Anziehungskraft für überregionale Verkehrsströme zwischen Augsburg und Karlsruhe schnell wieder vollaufen. Diesen Effekt mit der Vernichtung von intakter Natur und hochwertiger landwirtschaftlicher Flächen zu bezahlen, leuchtete den Faktencheckern nicht ein: Die Prüfer des Verkehrsprojekts empfahlen, auf einen Ausbau des Nahverkehrs, eine intelligente Verkehrsführung und die Schaffung kleiner Entlastungsstraßen zu setzen.
Nichts geändert hat sich an der Frage nach wohl neunstelligen Baukosten
Nichts geändert hat sich seit der ausführlichen Beschäftigung mit der Nord-Ost-Ring-Vision auch am Kostenargument – außer dass es mit Blick auf schwindende Steuergelder, stark gestiegene Baukosten und zunehmend leere kommunale Kassen noch schwieriger geworden ist, ein auf dreistellige Millionenbeträge geschätztes Projekt finanziell zu stemmen.
Schon im Jahr 2020 hatte der Traum vom Ringschluss bei der Kosten-Nutzen-Rechnung keine positive Bewertung erhalten – weshalb Fellbachs Rathauschefin auch genüsslich betont, dass eine Tunnelvariante noch mehr ins Geld gehen würde als ein oberirdisch angelegtes Asphaltband. „In allen betroffenen Kommunen müssten bestehende Brücken und Straßen saniert werden. Die dafür benötigten Mittel wären beträchtlich“, äußert sich Gabriele Zull.