Norbert Haug über Sebastian Vettels erneuten Weltmeister-Titel Foto: dpa

Nur drei Formel-1-Piloten holten vier Titel in Folge: Fangio, Schumacher und Vettel. Der langjährige Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug hat alle drei persönlich kennengelernt.

Stuttgart - Nur drei Formel-1-Piloten holten vier Titel in Folge: Fangio, Schumacher und Vettel. Der langjährige Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug hat alle drei persönlich kennengelernt.

Herr Haug, Vettels Triumph war keine Überraschung mehr – höchstens der frühe Zeitpunkt.
Eine Leistung, die nicht hoch genug einzuschätzen ist. Er hat sich kontinuierlich gesteigert und jede Drucksituation gemeistert, er ist ein hervorragender Repräsentant des Sports. Die Titelentscheidung vor Saisonende hatte sich abgezeichnet, aber es gab auch schon frühere Entscheidungen.
Diese Parallele gibt es – ja. Damals, in seiner Zeit bei Ferrari mit fünf Titeln in Folge, war aber auch die Konkurrenz oft knapp dahinter, auch wir von McLaren-Mercedes. In dieser Saison waren die Konkurrenten nicht auf der Höhe wie Vettel und Red Bull Racing, so holte er den Titel vorzeitig und zum vierten Mal in Folge.
Das gelang nur Legenden wie Schumacher und Fangio.
Vettel kann es schaffen, mit Schumacher bei den WM-Titeln gleichzuziehen oder die Zahl von sieben gar zu überbieten. Sebastian ist 26 Jahre alt, er kann noch zehn Jahre oder mehr aktiv sein.
Steht er damit schon auf einer Stufe mit den beiden?
Fangio ist die Motorsport-Legende überhaupt. Er hat über eine sehr lange Zeit seinen Sport wie kein andrer geprägt und fünf Titel geholt. Kein Mensch hätte geglaubt, dass dieser Rekord jemals gebrochen wird. Aber Michael Schumacher hat das mit sieben WM-Titeln geschafft.
Sie kannten Fangio persönlich.
Ja, er war bei Mercedes noch lange aktiv. Zum Beispiel im Rahmen der DTM-Rennen auf dem Norisring und in Singen 1991 und 1992 ist Fangio auf unser Bitten mit seinem Silberpfeil-Weltmeister-Wagen im Showprogramm gefahren – und zwar alles andere als langsam, was die Zuschauer in helle Begeisterung versetzte.
Was für ein Mensch war er?
Ein ganz großartiger Mann, vor ihm hatte jeder Ehrfurcht. Wenn man den Rennsport liebt, war eine Begegnung mit ihm, als ob ein Musikliebhaber John Lennon, Mick Jagger und Bob Dylan auf einmal getroffen hätte.
Fühlte sich Fangio als Star?
Er war ganz bescheiden, aber einfach großartig. Auch als wir ihn kurz vor seinem Tod mit Mika Häkkinen in Buenos Aires besuchten. Die Großen haben diese faszinierende Aura – ich habe noch nie einen der ganz Großen erlebt, der um sich selbst viel Wind gemacht hätte. Trubel entsteht durch die Leute, Bewunderer und Medien drum herum. Diese drei Mehrfach-Weltmeister sind ganz besondere Könner ihres Fachs und großartige Menschen. Dazu eine nette Anekdote. 1992 saß Fangio am Norisring in einer Loge über der Boxengasse und verfolgte das DTM-Rennen. Dann sagte er: Der Fahrer im schwarzen Mercedes, der ist ein ganz besonderer, den will ich kennenlernen.
Es war Michael Schumacher?
Nein, Bernd Schneider. Der war ganz neu bei Mercedes, aber Fangio hat ihn gleich im Blick gehabt – und Bernd hat vor allem in der DTM eine beispiellose Karriere hingelegt mit fünf Titeln. Für ihn war es natürlich eine große Ehre, dem damaligen Formel-1-Rekordweltmeister vorgestellt zu werden.
Schumacher hat Fangio auch kennengelernt?
Ja, ebenfalls am Norisring. Da hat Mercedes ein Treffen organisiert, bei dem unsere jungen Fahrer mit Fangio zusammengebracht wurden. Michael war ein junger Bursche am Beginn seiner Karriere ohne WM-Titel, und Fangio hatte fünf.
Entsprechend groß war der Respekt.
Michael war sehr zurückhaltend, er trat Fangio mit höchster Ehrerbietung entgegen.
Heute ist Schumacher auch eine Legende.
Ja, das war er schon vor seinem Rücktritt 2012. Ende 2006, zu Beginn seiner Pause, hatte er genügend geleistet, sieben Titel, 91 Siege. Michael hat in der Formel 1 mehr als jeder andere Fahrer erreicht und die moderne Formel 1 wie kein anderer geprägt.
Die alte Frage: „Wer ist der beste Rennfahrer seit 1950?“ wollen Sie nicht beantworten.
Sie ist nicht seriös zu beantworten. Sie würden mich auch nicht fragen, ob Albert Einstein intelligenter war als der Physik-Nobelpreisträger von 2013. Es ist großartig, dass jede Zeit größte Könner hervorgebracht hat; Größen, die sich über alle anderen erheben und dieser Zeit ihren Stempel aufdrücken – dies gilt für Fangio, Schumacher und Vettel. Es macht einen großen Unterschied, ob einer zehn Monate dominiert oder ein Jahrzehnt.
Dauerbrenner oder One-Hit-Wonder.
Bei der Musik setzt sich nicht immer die beste Qualität durch, doch der beste Rennfahrer wird über kurz oder lang mit dem richtigen Team an die Spitze kommen. Wenn man dagegen Musik mit der Stoppuhr misst, spricht das eher nicht für deren Qualität.
Schumacher hatte mit Gegenwind zu kämpfen – er wurde als Schummel-Schumi tituliert und zog sich Feinde zu, als er 1997 im WM-Duell Jacques Villeneuve von der Strecke rammte.
Schumacher hatte kein Schummeln nötig, um Weltmeister zu werden. Er hat in seinem letzten aktiven Jahr gezeigt, wie er sein Metier beherrscht, als er im Silberpfeil, der 2012 nicht zu den Top-Autos zählte, auf der ausgemachten Fahrerstrecke von Monaco die Pole-Position-Zeit gefahren ist.
Haben ihn diese schweren Zeiten stärker und reifer gemacht?
Nach dem Crash mit Villeneuve hat er mit keinem Ohrläppchen gewackelt. Er war ein kompromissloser Kämpfer. An diesem Tag in Jerez reagierte er falsch – das hat er später auch eingeräumt. Nennen Sie mir einen Menschen, der im Job noch nie einen Fehler gemacht hat. Das wissen wir beide doch auch voneinander.
Hat die Formel 1 Schumacher geprägt oder Schumacher die Formel 1?
Wer in asiatische Länder reist und glaubt, dass Schumacher in Deutschland bekannt sei, wird sich wundern. In Indien war sein Name weit bekannt, als die Formel 1 dort noch nicht Station machte. Er ist vergleichbar mit Pelé oder Beckenbauer; wer in den 1970ern oder später über Fußball gesprochen hat, dachte sofort an diese Namen. Bis heute sind solche Idole weltbekannt.
Schumacher ist ein ganz anderer Typ als Vettel.
Stellen sie sich vor, die beiden wären gleich – das wäre doch ziemlich langweilig.
Sie kennen beide privat. Sind sie so, wie sie öffentlich wahrgenommen werden?
Es ist normal für Menschen, die so sehr im Blickpunkt stehen, dass sie um sich während ihrer Arbeit eine Art Wall aufbauen. Den wahren Menschen lernt man nicht im Fahrerlager kennen. Schumacher ist wie Vettel ein ganz feiner Mensch, und wenn es Leute gibt, die das anders einschätzen, ist das in Ordnung. Stimmen muss es nicht. Wenn Ihre Leser einen Tag in der Redaktion verbringen würden, würden sie Ihre Arbeit wohl auch in einem anderen Blickwinkel beurteilen.
Vettel lebt bislang nur auf der Sonnenseite der Formel 1, abgesehen von den Pfiffen, die er kürzlich über sich ergehen lassen musste.
Diese Pfiffe sind es nicht einmal wert, ignoriert zu werden. Wichtiger als am Boden zu liegen ist immer das Aufstehen. Das zeichnet jeden Menschen aus, dem dies gelingt – ob als Rennfahrer oder Redakteur. Fangio und Schumacher haben ganz sicher nichts geschenkt bekommen, so wenig wie Vettel.
Wer von ihnen hatte die schwierigsten Umstände zu meistern? Wie war das bei Fangio?
Als er seine Titel in den 1950ern holte, da war ich im Kindergartenalter. Ich kann mich nicht mehr so genau erinnern (lacht).
Aber Sie wissen, was ich meine.
Zeitabschnitte sind nicht vergleichbar. Nur eines lässt sich vergleichen: Diese drei hatten über eine lange Periode eine außergewöhnliche Stellung inne: dass sie hart arbeiten mussten, an ihr Team glaubten, sie ihre Umgebung mit immer neuen Bestleistungen motivierten, dass sie immer wieder aufstanden und dabei positiv waren. Das Allerwichtigste: dass sie die Fähigkeit zur schonungslosen Selbstkritik demonstrierten – und sie die Kritik in Antrieb und Vortrieb umwandelten. Diese herausragenden Eigenschaften einen die drei Weltmeister.