Preisträger David Hu (links) bekommt den ersten Preis bei der Verleihung der Ig-Nobelpreise in Physik von Laudator Dudly Herschbach (rechts) an der Harvard-Universität in Cambridge, US-Bundesstaat Massachusetts. Foto: dpa

Jubiläum einer Kult-Gala: Schon zum 25. Mal sind an der US-Eliteuni Harvard die Ig-Nobelpreise für kuriose Forschungen verliehen worden. Hier die diesjährigen Preisträger und ihre prämierten Skurrilitäten.

Boston - Warum pinkeln eigentlich fast alle Säugetiere etwa 21 Sekunden lang? An welcher Stelle des Körpers tut ein Bienenstich am meisten weh? Und kann der marokkanische Sultan Mulai Ismail zwischen 1697 und 1727 wirklich 888 Kinder gezeugt haben? Alles abwegige Fragen? Möglicherweise. Aber renommierte Wissenschaftler haben sich damit beschäftigt - und sind dafür in der Nacht zum Freitag an der US-Eliteuniversität Harvard mit Ig-Nobelpreisen ausgezeichnet worden.

„That’s ignoble“ – das ist schändlich

Ig-Nobelpreis? Ig steht für Englisch „ignoble“, unwürdig, schmachvoll, schändlich. Der Preis wird auch als Spaß-Nobelpreis verulkt. Dabei ist der Ig-Nobelpreis eine hoch angesehene satirische Auszeichnung, die alljährlich vom Satire-Magzin „Annals of Improbale Research“ und der amerikanischen Elite-Universität Harvard in Boston (Bundesstaat Massachusetts) verliehen wird.

Marc Abrahams, Autor von so gewichtigen Werken wie „Der Einfluss von Erdnussbutter auf die Erdrotation“, rettet zusammen mit einer fröhlich-illustren Schar von Wissenschaftlern - darunter zahlreiche Nobelpreisträger - akademische Preziosen vor dem Wissens-Orkus. Abrahams ist Präsident des Ig-Nobelpreis-Komitees, mit dem parallel zur bierernsten Nobelpreisverleihung geistige Errungenschaften gefeiert werden, die eines Don Quichotte de la Mancha, Karl Valentin und Marty Feldmann würdig gewesen wären.

Die Auszeichnungen sollen „das Ungewöhnliche feiern und das Fantasievolle ehren“ und belohnen Forschung, die „erst zum Lachen und dann zum Denken anregt“. Die klamaukig-schrille Preisgala mit mehr als 1000 Zuschauern, die bereits zum 25. Mal stattfand, hat längst Kult-Status und ist stets lange im Vorfeld ausverkauft.

Bienenstiche in den Penis – Ups!

Einer der zehn diesjährigen Preisträger ist Michael L. Smith, Doktorand der Biologie an der Cornell University in Ithaca, New York. Er hat die Ausszeichnung im Bereich Entomologie (Insektenkunde) und Physiologie bekommen, weil er sich von Bienen stechen ließ. Er wollte allen Ernstes herauszufinden, wo es am wenigsten weht tut (Kopf, mittlere Zehenspitze, Oberarm) und wo am meisten (Nasenflügel, Oberlippe, Penis).

Wer als Imker seinen Bienchen den Honig klaut, muss mit Stichen rechnen. Das tut weh, manchmal sogar höllisch, wenn an der richtigen Stelle zugestochen wird. Michael Smith, hat sich mehr als 75 Mal am ganzen Körper stechen lassen. Ein Imker würde nie auf eine derart abgefahrene Idee kommen, sich freiwillig piksen zu lassen. Das geschieht nämlich ganz automatisch. Und wer um Himmels willen lässt sich freiwillig in sein wertvollstes Teil stechen? Jeder halbwegs normale Mann weiß doch, dass diese Region äußerst sensibel und reizanfällig ist. Und Imker sind in der Hinsicht Empiriker.

Ganz vollständig ist Smith‘ Liste ohnehin nicht – trotz Ig-Nobelpreis. Aus eigener Erfahrung weiß der Autor (selbst Imker), dass die Achselhöhlen, Fußsohle, Leisten und Fingerkuppen äußerst unlustvoll auf Bienenstiche reagieren. Die Einstichstellen schwellen an wie ein Ballon, werden rot und brennen wie Feuer. Was nicht verwundert, weil dort die Blutgefäße und Lymphbahnen verlaufen. Die Schwellungen klingen in der Regel nach drei Tagen ab. Es soll aber auch schon vorgekommen sein, dass es länger dauerte. Was im Falle des Penis-Stiches nicht nur schmerzhaft, sondern auch peinlich wäre.

Pinguin-Kot und Hunde-Hodenprothesen

Ig-Nobelpreise – alles wissenschaftlicher Nonsens? Mitnichten. Seit 1991 wird der Preis vergeben - immer im Nobelpreismonat Oktober im Sanders-Theater von Harvard. Eine der feinsten Adresse in der globalen Wissenschaftsgemeinde. Bei der kultigen Wissens-Olympiade waren schon so gewichtige Studien zu Fragen wie der Auswurfgeschwindigkeit von Pinguin-Kot, Hodenprothesen für Hunde und Katzen oder klebrige Duschvorhänge prämiert worden. In diesem Jahr feiern die genial-schrägen Wissenschafts-Clowns den 25. Geburtstag ihrer Gaga-Gala.

Zuvor hat die Jury Dutzende an preisverdächtigen akademischen Großtaten geprüft. Im Sanders-Theater von Harvard startet dann die Feier. Oben auf der Bühne sitzt die Jury und vergibt in einer Oscar reifen Show zehn Preise. Nach Aussage von Marc Benecke, Kölner Star-Kriminalbiologe und Spezialist für forensische Entomologie, der sich der gerichtsmedizinischen Insektenkunde hingibt und selbst schon Jury-Mitglied war, seien „90 Prozent ernsthafte Entdeckungen, für die die Leute oft jahrelang geforscht haben. Der Rest ist echter Quatsch“. Auf jeden Fall ist die Veranstaltung absolut bizarr.

„Annals of Improbale Research“, dieses von Abrahams herausgegebene Zentralorgan des Merkwürdigen und Abstrusen in der seriösen Wissenschaft, hatte unter anderem auch Edward Teller, den Vater der Wasserstoffbombe, geehrt. Ironie der Geschichte: Im Jahre 1991 erhielt der Physiker den Preis für „seinen lebenslangen Einsatz, die Bedeutung von Frieden nachhaltig zu verändern“.

Vanillearoma aus Kuhdung

Und da war auch noch der Japaner Mayu Yamamotu vom International Medical Center in Japan. Er entdeckte eine revolutionär neue Methode, aus Kuhdung Vanillearoma zu gewinnen. 2007 gab’s dafür einen Ig-Preis. Ob auf diese Weise auch Muffins „gedungt“ werden können, ist nicht bekannt.

Die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn ist bei Elite-Forschern offenbar fließend. Am 2. Oktober werden also im Sanders-Theater wie jedes Jahr wieder Papierflieger auf die Bühne geschmissen, wenn die Preisträger bekannt gegeben werden. „Das ist wie Karneval in Köln, nur unter Wissenschaftlern“, erinnert sich Benecke. Nach der Verleihung steigt in Harvard eine Mega-Party. Die Wissenschaftsgurus laufen verkleidet herum. Smith zum Beispiel hat sich als Honigbiene verkleidet. „Die Leute, die zur Party kommen, sind die totalen Nerds - Sonderlinge. Total abgespaced“, so Benecke.

„Rocky Horror Picture Show“ für schräge Genies

Wer das Ganze nun für eine Ulk-Veranstaltung hält, irrt gewaltig. Die Geistesgrößen nehmen sich hier selbst auf die Schippe. Die ganze Veranstaltung erinnert mehr an die „Rocky Horror Picture Show“ als an die bieder-gediegene Nobelpreisverleihung in Stockholm. Doch anders als beim Frankenstein-Musical wirft das Publikum in Harvard nicht mit Reis oder Popcorn, sondern eben mit Papierfliegern.

Ja, da waren doch noch die Pinguine. Victor Meyer-Rochow von der International University Bremen fand heraus, dass die putzigen Tierchen aus den Kälteregionen unseres Planeten ihren Kot mit einer Kraft ausstoßen, die dem Luftdruck von Autoreifen entspricht. Die Fäkalien fliegen bis zu 40 Zentimeter weit. Für diese Erkenntnis verlieh das ehrwürdige Gremium 2005 den Preis.

„Langweilig“ ruft Miss Sweetie Poo

Die Geehrten kommen oft verkleidet auf die Bühne, präsentieren Sketche oder singen ihre Dankesreden. Die Dankesrede darf maximal sieben Worte umfassen. Wenn sie länger ausällt, kommt ein kleines Mädchen („Miss Sweetie Poo“) auf die Bühne und schimpft: „Booring“ – „Bitte hör’ auf, mir ist langweilig.“ Im Publikum sitzen echte Nobelpreisträger, die die Papierflieger nach dem Ende der auch live im Internet übertragenen Show wieder zusammenkehren müssen. Zwischendurch werden bizarre Kurz-Opern aufgeführt und Treffen mit den echten Nobelpreisträgern verlost. Die Trophäe besteht in diesem Jahr aus einem Blumentopf - ohne Pflanze.

Ein Team um Patricia Yang aus den USA bekommt die Auszeichnung in der Sparte Physik, weil es herausfand, dass fast alle Säugetiere ihre Blase innerhalb von 21 Sekunden - oder bis zu 13 Sekunden schneller oder langsamer - leeren. „Wir nennen es das „Gesetz des Urinierens“, erklären die Wissenschaftler auf der Bühne - und drücken der nörgelnden Miss Sweetie Poo zur Bestechung ein Kuscheltier in die Hand, als sie sich über die lange Dankesrede beschwert.

„Huh?“ „Hä?“

Ein Ig-Nobelpreis geht auch an mehrere Forscher unter anderem aus Japan und der Slowakei. Sie hatten sich mit Auswirkungen und Nutzen von intensivem Küssen beschäftigt haben. „Wie Ihr Euch sicher vorstellen könnt, war das ziemlich harte Arbeit“, sagte Wissenschaftlerin Jaroslava Durdiaková in ihrer Dankesrede. Mark Dingemanse aus den Niederlanden und seine Kollegen werden für die Entdeckung geehrt, dass das Wort „huh?“ (hä?) scheinbar in allen Sprachen der Welt vorkommt - und auch dafür, dass sie nicht wissen, warum das so ist.

Die Wissenschaftler Elisabeth Oberzaucher und Karl Grammer von der Universität Wien bekommen einen Ig-Nobelpreis für den Versuch auszurechnen, ob der marokkanische Sultan Mulai Ismail zwischen 1697 und 1727 wirklich 888 Kinder gezeugt haben kann, wie es in Überlieferungen heißt. „Das ist wirklich eine Menge Arbeit“, sagt Oberzaucher. „Er müsste jeden Tag seines Lebens ein- bis zweimal Sex gehabt haben.“

Schmerz lass nach, du bist umzingelt

Forscher um Diallah Karim aus Großbritannien werden geehrt, weil sie entdeckt haben, dass eine akute Blinddarmentzündung korrekt diagnostiziert werden kann anhand der Größe des Schmerzes der auftritt, wenn der Patient über eine Schwelle zur Geschwindigkeitsbegrenzung gefahren wird.

Marc Abrahams, Herausgeber einer wissenschaftlichen Zeitschrift zu kurioser Forschung, moderierte die Veranstaltung wie gewohnt mit zerrupftem Zylinder und beendete auch die Jubiläumsausgabe wieder mit seinen traditionellen Abschlussworten: „Wenn Sie dieses Jahr keinen Ig-Nobelpreis gewonnen haben - und besonders dann, wenn Sie einen gewonnen haben: mehr Glück im nächsten Jahr!“

Übrigens: Eine Übersicht über Gewinner und Themen findet sich in der Bildergalerie.