Ein gewohntes Bild: Tische werden mit Schildern reserviert – was nicht heißt, dass der Gast auch kommt. Foto: AdobeStock

Bis zu 100 Euro pro Person können vom Herbst an im Sternerestaurant Olivo drohen, wenn man einen Tisch bucht und dann nicht kommt. Sogenannte No-Shows verärgern aber auch andere Gastronomen.

Stuttgart - Gehört haben wir viel davon, vor Kurzem ist es uns zum ersten Mal begegnet: Bei der Reservierung im Sternerestaurant Nub auf Teneriffa, die per E-Mail erfolgen sollte, kam mit der Bestätigung der Hinweis, ein unentschuldigtes Fehlen koste 50 Euro pro Person. Zudem werde der Tisch nur 15 Minuten frei gehalten, danach eventuell anderweitig vergeben. In der Gastrosprache würde man dazu sagen, ein No-Show wird durch einen Walk-in kompensiert, übersetzt: Der Ausfall durch ein Nichterscheinen trotz Reservierung wird vermieden, indem ein Spontangast den Tisch übernimmt.

Die 50 Euro „Strafgebühr“ sind noch kulant. Im Ausland und insbesondere in den USA, wo es in gehobenen Restaurants üblich ist, die Kreditkarte auf jeden Fall zu belasten, können das 150 Euro pro Person sein. In Deutschland zögert man noch mit solchen Erziehungsmaßnahmen und begegnet den steigenden Ausfällen nur vereinzelt – in München etwa, wo im Sternerestaurant Königshof beim erstmaligen Besuch 120 Euro abgebucht werden. Im Tantris werden mittags 100 und abends 150 Euro fällig. Und in Berlin, Hauptstadt halt, gibt es mit dem Ernst das erste Ticketrestaurant Deutschlands. Wer einer der zwölf Gäste sein will, zahlt im Voraus 165 Euro fürs Menü und 85 Euro für die begleitenden Getränke.

Im Hotel am Schlossgarten zögert man noch

In Stuttgarts bestem Restaurant, der Zirbelstube im Hotel am Schlossgarten, sind solche Möglichkeiten, „die Gäste zu sensibilisieren“, laut Hoteldirektor Ulrich Schwer noch rein „hypothetisch“. Er sagt: „Man möchte den Gästen vertrauen, aber wenn die No-Shows überhandnehmen, muss man sich eben schützen.“ Jeder Ausfall sei schmerzhaft, besonders aber in einem Sternerestaurant mit deutlich höherem Wareneinsatz und Personalaufwand. Rechnen wir mal so: Ein leer bleibender Vierertisch kann bei einem Sieben-Gänge-Menü inklusive Weinbegleitung 1000 Euro Ausfall bedeuten. Schwers Erfahrung: Auch eine Rückversicherung per Anruf nütze nicht immer. „Manchmal kommen die Gäste trotzdem nicht, oder man klingelt ins Leere.“

Daniel Ohl, Sprecher des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga), sieht „eine Unsitte, die immer mehr einreißt“. No-Shows seien ein großes Thema nicht nur in der Spitzengastronomie, aber viele Wirte würden mit den Schultern zucken: „Kann man nichts machen.“ Ohl wisse von Fällen, in denen in drei, vier Locations gleichzeitig reserviert werde, und erst am Abend entscheide sich die Gruppe, wohin man nun gehe. Dieser mangelnde Respekt sei eine „Ausprägung der Ich-Gesellschaft“, auf die sich die Branche zunehmend einstellen müsse.

Wasenwirt Wilhelmer rechnet mit Bewusstseinswandel

Der Wasenwirt Michael Wilhelmer, der unter anderem auch den Schlachthof, das Amici, das Stuttgarter Stäffele und die Ampulle betreibt, hat die Erfahrung gemacht, dass vor allem jüngere Gäste Reservierungen nicht so ernst nehmen. Heißt: No-Shows seien im Amici ein größeres Problem als in der Ampulle oder im Stäffele. Mittelfristig aber rechnet er mit einem Bewusstseinswandel: „Man ist ja auch daran gewöhnt, einen Tisch auf dem Volksfest verbindlich zu buchen.“

Auch in Szenelocations muss man reservieren

Oder ein Zimmer im Hotel, für das ebenso Stornokosten anfallen können. Bernd A. Zängle, Direktor des Steigenberger Graf Zeppelin, spricht von einem „Prozess über Jahre“. Was das Sternerestaurant Olivo im Haus angeht, will Zängle allerdings nicht mehr allzu lange zusehen, wenn Tische reserviert werden und dann keiner kommt. Er werde sich zwar noch mit Kollegen aus der Stuttgarter Spitzengastronomie austauschen, plane aber jetzt schon für den Herbst die Einführung von No-Show-Gebühren. „Wir werden Pioniere sein“, sagt der Hoteldirektor und denkt an ein Ausfallgeld von 80 bis 100 Euro. Erstaunlicherweise sei gerade bei Gästen aus der Managementebene „das Bewusstsein einfach nicht da“, dass auch ein Nichterscheinen mit Kosten verbunden ist.

Kann man die Gäste erziehen?

Mit Reservierungen muss man sich selbst in Szenelocations, in denen man mit einem lockeren Kommen und Gehen der Gäste rechnen sollte, auseinandersetzen. Im Gasthaus Bären etwa, einer noch jungen schwäbischen Tapasbar, in der Geselligkeit zum Selbstverständnis gehört, geht an manchen Tagen ohne Reservierung nichts. Im Tübinger Stammhaus würden grundsätzlich keine entgegengenommen, sagt Geschäftsführer Dario Orec. Das habe man auch in Stuttgart in den ersten zwei, drei Wochen so probiert – was zu „viel Unmut bei den Gästen“ geführt habe. Nun zieht Orec die Reservierungen in zwei Etappen durch – ab 17.30 und ab 20.45 Uhr – und sagt nüchtern: „Ich glaube nicht, dass man die Stuttgarter erziehen kann.“ Für Gruppen ab zehn Gästen muss im Bären übrigens eine „Kostenübernahmeerklärung individuell ausgehandelt“ werden.

Nicht weit entfernt in der Mozzarella Bar kann man staunen, dass in dem kleinen Szeneladen mit seinen nur 35 Plätzen alle Tische mit Servietten reserviert sind, auf denen etwa „Ciao Yvonne! 19.30“ steht. Valentin Hillengass vom Mozze-Team sagt, „es gibt doch nichts Schöneres, wenn man vorausplanen kann“ und meint damit sowohl den Gast als auch sich selbst.

In der Metzgerei wird nicht reserviert

Eine der wenigen Ausnahmen im allgemeinen Reservierungswahn ist die viel besuchte Metzgerei am Bismarckplatz. Seit das Restaurant im Sommer 2016 eröffnet hat, werden unter zehn Personen keine Reservierungen angenommen. „Ich bin Südländer“, sagt der Chef Yilmaz Yogurtcu, „und wenn nur Vereinzelte an einem großen Tisch sitzen, finde ich das traurig.“ Leute wegschicken müsse man selten. „Mit ein bisschen Geduld und einem Drink an der Bar geht immer was“, so Yogurtcu.

Das macht Hoffnung, denn die trotz Reservierung „Komm ich heut nicht“-Haltung einerseits und die Verspießerung der Ausgehkultur andererseits, die Spontanbesuche unmöglich macht, kann nachdenklich stimmen. Nicht, dass wir eines Tages noch Stehplätze beim Brunnenwirt buchen müssen. Und übrigens: Das unsoziale Verhalten mancher Gäste ist auch schlecht für andere Gäste, die am Katzentisch sitzen müssen, wenn die besten Plätze reserviert sind – und dann keiner kommt.