Szene aus „Das Imperium des Schönen“: (v. l. n. r.) Katharina Hauter, Daniel Fleischmann, Nina Siewert, Marco Massafra, Martin Bruchmann, Marielle Layher Foto: Björn Klein

Nachdem sich die Regisseurin Pinar Karabulut mit dem Autor Nis-Momme Stockmann nicht über die Inszenierung seines neuen Theaterstücks einigen konnte, hat Tina Lanik die Regie übernommen. Bei der Premiere von „Das Imperium des Schönen“ am Schauspiel Stuttgart am Donnerstag sieht man eine texttreue Arbeit mit umgehängtem Keuschheitsgürtel – und mit Schauspieler-Entdeckungen.

Stuttgart - Der Philosophieprofessor Falk will mit seiner Familie nach Japan reisen. Ganz schön generös lädt er alle ein, auch seinen Bruder Leichtfuß, der häufig die Freundinnen wechselt. Matzes aktuelle Flamme heißt Maja, eine gern über die Welt sinnierende Vegetarierin und Bäckereifachverkäuferin, und sie darf auch mitkommen. Schnell wird klar, irgendetwas stimmt nicht. Falk stichelt und mäkelt an Maja herum, echauffiert sich, weil sie nicht seinen bildungsbeflissenen Ausflugszielen folgen und lieber mit Matze ausbüxen und sich anderweitig umsehen will. Als ihr Streit eskaliert, ohrfeigt er sie sogar.

Warum? Das stärkste Motiv, das Nis-Momme Stockmann seinem Stück „Das Imperium des Schönen“ eingeschrieben hat, wird von der Dramaturgin Carolin Losch und der Regisseurin Tina Lanik gestrichen. Falk ist nämlich nicht nur kleinlich und herrschsüchtig – er ist auch verknallt in Maja, jedenfalls hat er sie mal auf einer Unifete angemacht. Weshalb sie weiß, dass sein Bart „nach gegorener Milch“ müffelt, was sie vor versammelter Mannschaft herausposaunt. Im Text ist das zu lesen, in der Premiere am Donnerstag im Stuttgarter Kammertheater aber nicht zu hören. Ja, es ist ein etwas konventionelles Motiv, das man aus Goethes „Faust“ und Shaws „Pygmalion“ kennt: Ein schlauer Mann verguckt sich in eine etwas weniger schlaue schöne Frau. Doch es erklärt eben, weshalb Falk, ein eigentlich gesitteter Mensch, so aufgeregt und handgreiflich wird. Und es erklärt auch, weshalb sich Falks sanftmütige und intelligente Gattin Adriana nach dem Eklat eine Auszeit von der Ehe nimmt.

Womöglich wollte das Regieteam Maja nicht wie ein sexy Dummchen da stehen lassen (wobei Nina Siewert zuzutrauen gewesen wäre, ihre Figur bei aller unterschwelligen Erotik mit ausreichend kluger, spröder Widerständigkeit auszustatten). Dafür ist nun die politische Korrektheit gewahrt: Die junge Frau steht für das blühende, unverstellte Leben, der mittelalte weiße Mann ist einer, der in seinem bildungsbürgerlichen Käfig gefangen ist. Ob Maja vielleicht auch deshalb mit nach Japan gereist ist, weil sie den Philosophielehrer reizen wollte? Oder fand sie ihn doch auch interessant, weil intellektuell? Diese Nuancen sind getilgt. Erst recht, da Marco Massafra als Falk extrem verhalten agiert, mit starrem Blick und in immer gleicher Tonlage Maja abkanzelt, keinerlei Varianz in seinem Spiel zeigt. Der Stücklogik und der Ambivalenz der Figuren tut das nicht gut.

Die Regisseurin Tina Lanik reduziert das Drama auf philosophische Lebensfragen

Abgesehen davon inszeniert Tina Lanik texttreu. Texttreuer offenbar als ihre Vorgängerin Pinar Karabulut. Nach einem Probenbesuch hatten der Autor und die erste Regisseurin ihre „künstlerischen Differenzen“, wie offiziell vom Theater vermeldet wurde, nicht beilegen können. Es übernahm kurzfristig Tina Lanik, die man aus Friedrich Schirmers Intendanz in Stuttgart kennt (sie hatte Schillers „Jungfrau von Orleans“ inszeniert) und die an großen Häusern wie dem Bayerischen Staatsschauspiel inszeniert.

Indem sie sich jetzt für einen in Zeilen geringfügigen, doch schmerzhaften Schnitt ins Textgewebe entscheidet, legt sie dem Drama einen Keuschheitsgürtel um und reduziert es auf einen Austausch philosophischer Lebensfragen. Ausgetragen wird das Geplänkel auf einem nackten Kampfplatz, der an der Seite von Stühlen eingefasst ist. Hier können all jene, die gerade nichts zu sagen haben, die rhetorischen Gefechte beobachten. Nicht genug zu loben indes ist Lanik dafür, dass sie dem Publikum ausführliche theoretische Passagen zu Gehör bringt: Vorträge über Zen-Buddhismus, Oberfläche und Tiefe, Sinnsuche und Ambivalenz, europäische und asiatische Denkmuster. Derlei Texte werden für gewöhnlich von Dramaturgen und Regisseuren getilgt, die dem Publikum nicht viel zutrauen. Dass sie in Zeiten, in denen große Stoffe und Themen gern auf TV-Serienniveau heruntergebrochen werden, zur Sprache kommen dürfen, wirkt geradezu revolutionär.

Darüber darf sich auch Nis-Momme Stockmann freuen – zumindest hat er sich nach der zwei Stunden währenden Uraufführung beim Schlussapplaus verbeugt. Stockmann, ein 37 Jahre junger, viel gefragter Dramatiker und Romanautor (sein Debüt „Der Fuchs“ wurde für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert), hat mit „Das Imperium der Schönheit“ ein unterhaltsames, sprachlich fein schwingendes Konversationsstück geschrieben. Allerdings eines mit einer Unwucht, was die Figuren betrifft, Adriana (Katharina Hauter) und Matze (Martin Bruchmann) sind kaum mehr als Stichwortgeber für ihre Partner. Die Schauspieler machen das Beste daraus, vor allem Katharina Hauter, die schön singt und während der ewigen Streitereien von Falk und Maja auch mal betont dekorativ und elegant mit den Armen rudernd auf den Boden gleitet.

Die jungen Schauspieler machen den Abend sehenswert

Tina Lanik gelingt es zudem, zwei weitere Figuren extrem gut ins Spiel zu bringen: Ignatz und Ismael, die Kinder von Falk und Adriana. Verkörpert werden sie von zwei jungen Gästen, die an der Akademie für darstellende Kunst in Ludwigsburg studiert und schon erste Darstellerauszeichnungen erhalten haben: Daniel Fleischmann und Marielle Layher.

Sie treten als erschreckend gebildete, ernsthafte zwillingshaft gleich gekleidete und frisierte Kinder auf und sprechen nicht nur amüsante Anmerkungen des Autors („Für die Stimmung im Raum danach braucht es keine Regieanweisung“ heißt es nach dem Zoff mit Ohrfeige) und die japanischen Passanten, denen Falk und Adriana begegnen und die sie ständig grüßen müssen. Mit Blicken und Tönen, Schreien und Rufen, mit Polonaisen und absurd witzigen Aktionen kommentieren die jungen Schauspieler die Streitereien über Oberflächlichkeit und Tiefe, zeigen, wie peinlich, ja kindisch sich die Erwachsenen benehmen. In ihrer Ungerührtheit sind sie hochkomisch. Neben der politischen Korrektheit der Alten macht die Jugend den Abend dann doch absolut sehenswert.

Weitere Termine: 2. Februar, 3., 4. März. Kartentelefon: 0711 /20 20 90.