Wirtschafts- und Finanzminister Schmid übers Sparen und den Konflikt um Stuttgart 21.
Stuttgart - Volksabstimmung, Gemeinschaftsschule, Haushalt - Vize-Regierungschef Nils Schmid (SPD) hat zurzeit viele Baustellen. Nicht zuletzt muss er auch noch die Wünsche seiner Ministerkollegen dämpfen, denn das Land soll keine neuen Schulden mehr machen.
Herr Schmid, Sie wollen Mitte Oktober als SPD-Landesvorsitzender bestätigt werden. Fürchten Sie einen Denkzettel?
Nein. Ich erwarte ein gutes Ergebnis. Denn ich habe die SPD in den letzten zwei Jahren stabilisiert. Zwar lagen wir bei der Landtagswahl hinter den Grünen, doch unter dem Strich bleibt, dass der historische Wechsel gelungen ist und wir in der Regierung gut aufgestellt sind.
... mit der Sollbruchstelle Stuttgart 21.
Für diesen gesellschaftlichen Konflikt habe ich schon vor einem Jahr mit der Volksabstimmung einen Weg gewiesen. Den schlagen Regierung und Parlament jetzt auch ein. Darauf kann die SPD stolz sein.
Sie wollten den Wahlkampf zur Volksabstimmung eigentlich zusammen mit der CDU bestreiten, doch Ihre Basis begehrt dagegen auf. Wie werben Sie jetzt für das Projekt?
Es war von Anfang an klar, dass wir ein gesellschaftliches Bündnis für Stuttgart 21 schmieden wollen, kein Parteienbündnis. Deshalb werden sich die SPD-Befürworter nun mit Vertretern von Kommunen, Gewerkschaften und der Wirtschaft zusammentun. Auch ich persönlich werbe nach wie vor für das Projekt, denn es ist so weit gediehen, dass ein Abbruch nur Schaden brächte, keinen Nutzen.
Können Sie noch offensiv werben, nachdem der Ministerpräsident Sie ermahnt hat, auf ein Bündnis mit der CDU zu verzichten?
Dieses Bündnis war nie geplant. Trotzdem werden die SPD-Befürworter offensiv werben, das ist ja nicht gegen die Grünen gerichtet. Umgekehrt sollten die Grünen aber auch nicht mit anderen Parteien zusammen gegen die SPD Wahlkampf machen, sondern ein gesellschaftliches Bündnis schmieden.
Aber die Grünen wollen sich als Partei in ein Anti-Stuttgart-21-Bündnis einbringen...
Abgesprochen zwischen den Regierungspartnern war, dass es keine Parteienbündnisse gibt, hüben wie drüben. Wir jedenfalls werden uns daran halten. Schließlich nehmen an dem Grünen-Bündnis auch die Linken teil. Dieser Schulterschluss ist schon bemerkenswert.
Was passiert, wenn die Gegner die Mehrheit erhalten, aber das nötige Quorum von einem Drittel der Wahlberechtigten verfehlen?
Mein Ziel ist ein klares Votum für Stuttgart 21. Wenn das Quorum verfehlt wird, aber eine Mehrheit gegen das Projekt stimmt, gilt die Verfassung. Das heißt: Das Kündigungsgesetz ist gescheitert, und die Regierung wird ihrer Projektförderungspflicht voll umfänglich nachkommen und Stuttgart 21 zu Ende bauen.
Haben Sie Hinweise darauf, dass sich die Bahn auf den Ausstieg vorbereitet und bereits die Kosten berechnet?
Die Bahn bereitet nicht den Ausstieg vor, sondern macht das, was ich erwartet habe: Sie klärt vor der Volksabstimmung, was der Ausstieg aktuell kosten würde. Das ist für die Bürger eine ganz wichtige Information. Tatsache ist, dass wir viele Hundert Millionen Euro Schadenersatz zahlen müssten, dafür aber keinen Bahnhof bekommen.
Warum kann die SPD aus der Regierungsbeteiligung keinen Honig saugen? In der jüngsten Umfrage stagniert sie bei 23 Prozent.
Die ersten Monate dieser Regierung sind geprägt von der Neugier auf die Grünen und ihren Ministerpräsidenten. Im Lauf der Zeit wird sich aber bemerkbar machen, dass die SPD wichtige Themen wie Bildungsgerechtigkeit, Tariftreue oder innere Sicherheit vertritt. Dann wird sich das Bild wandeln. Ich plädiere dafür, Geduld zu haben.
Warum wirkt Ihre Bildungspolitik so diffus?
Das ist sie nicht. Die Regierung muss sich aber erst darüber verständigen, in welcher Reihenfolge sie die Reformen angeht und finanziert. Wir können nicht alles auf einen Schlag verändern, und unsere Ressourcen sind knapp. Deshalb können wir nicht immer jeden Interessensverband berücksichtigen. Ich rate deshalb der SPD als Regierungspartei, sich davon nicht kirre machen zu lassen.
Bis wann wollen Sie diese Prioriäten setzen?
Wir brauchen eine erste Liste bereits für den Haushalt 2012, weil etwa die neuen Gemeinschaftsschulen auch finanziell ihren Niederschlag finden müssen. Hinzu kommt, dass wir über die frühkindliche Bildung noch mit den Kommunen verhandeln. Da können wir Konkretes erst nach dem Abschluss der Verhandlungen sagen.
Sie wollen 2011 und 2012 nun doch keine weiteren Schulden machen. Warum haben Sie das nicht gleich zugesagt?
Vorsichtige Haushaltspolitik zeichnet sich auch dadurch aus, dass man das Geld erst dann ausgibt, wenn man's hat. Bei den Steuereinnahmen sind wir erst jetzt an einem Punkt, an dem wir sagen können: Es reicht für die Nullverschuldung. Außerdem war mir wichtig, bei einem Kassensturz deutlich zu machen, dass wir verdeckte Schulden haben. Es nützt nichts, ohne Kredite zu wirtschaften, andererseits aber das Landesvermögen verlottern zu lassen. Wir geben deshalb auch Geld für die Sanierung von Straßen, Kliniken und Hochschulen aus.
Um auf neue Kredite verzichten zu können, brauchen Sie nächstes Jahr noch 350 Millionen Euro. Wo sollen die herkommen?
Wir werden genau abwägen müssen, wo die Schwerpunkte der alten Regierung waren und welche Schwerpunkte wir haben. Man kann nicht alle Vorhaben der alten Regierung ungeprüft übernehmen und dann die grün-roten noch oben drauf satteln. Wir müssen das Geld vielmehr effizienter einsetzen und die Prioritäten neu festlegen. Die von Ihnen genannte Deckungslücke werden wir deshalb nicht nach dem Rasenmäherprinzip schließen, sondern mit konkreten Einsparvorschlägen. Da wird es auch um die Frage gehen, welche Förderprogramme weitergeführt oder aber eingestellt werden. Und zwar in allen Ressorts, auch in meinem eigenen, dem Wirtschaftsministerium.
Der Beamtenbund hat bereits Protest angemeldet, weil er Kürzungen beim Personal befürchtet.
Die Lücke im Haushalt wird man nur schließen können, wenn auch das Personal dazu einen Beitrag leistet. Das wird zunächst kein großer Beitrag sein, aber er wird wachsen.
Gibt es dabei Tabus - zum Beispiel bei den Bildungsausgaben?
Die Bildung ist einer unserer Schwerpunkte, es gibt aber keinen Automatismus bei den Ausgaben. Auch da wird man sich fragen müssen, ob das Personal optimal eingesetzt wird. So dient zum Beispiel die bloße Absenkung des Klassenteilers nicht automatisch und nicht überall einem besseren Unterricht. Auch hier wird es darum gehen, die Personalmittel besser einzusetzen. Dasselben gilt für die Krankheitsstellvertretungen an Schulen. Wir wollen deshalb den Schulen mehr Freiraum beim Budget für ihre Personalkosten einräumen. Wir müssen aber zunächst die Prioritäten neu setzen. Wenn wir der Meinung sind, wir sollten den Klassenteiler weiter absenken, dann sollte dies eine bewusste Entscheidung sein. Man darf nicht einfach das Gepäck weiterschleppen, das die alte Regierung hinterlassen hat.
Sie hatten angekündigt, einen Teil der Mittel, die wegen der sinkenden Schülerzahlen frei werden, für den allgemeinen Haushalt zu verwenden. Gilt das immer noch?
Das gilt nach wie vor, wird aber erst gegen Ende der Legislaturperiode wirksam werden. Denn wir haben jetzt so viele bildungspolitische Vorhaben, dass wir diese sogenannte demografische Rendite zunächst einmal benötigen werden.