Nicole Fritz leitet die Kunsthalle in Tübingen. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Nicole Fritz hat die Kunsthalle Tübingen aus dem übermächtigen Schatten herausgeführt.

Tübingen - Erfolg kann zum Fluch werden. In den 1980-er und 1990-er Jahren war die Kunsthalle Tübingen so erfolgreich, dass manche gar vom „Tübinger Museumswunder“ sprachen. Die Menschen reisten aus dem gesamten Bundesgebiet an und standen Schlange. In den vergangenen Jahren lagen diese Erfolge allerdings wie ein düsterer Schatten auf dem Ausstellungshaus – und gleich mehrere Direktoren warfen das Handtuch, weil das schillernde Erbe ihnen kaum Luft zum Handeln ließ.

Nicole Fritz hat sich trotzdem getraut, in diese Fußstapfen zu treten. 2018 kehrte die Kunst- und Kulturwissenschaftlerin nach Tübingen zurück, wo sie schon studiert hatte. Auch sie musste manchen Strauß ausfechten, aber ihr gelang es, sich die Freiheiten zu erkämpfen, die sie benötigte, um frischen Wind nach Tübingen zu bringen. Mit Erfolg: Nach nur vier Jahren ist die Kunsthalle zu einem der interessantesten Ausstellungshäuser im Land geworden.

Die Zeiten, als man großen weißen Malern huldigte, sind damit endgültig vorbei, denn Nicole Fritz verfolgt mit ihren Ausstellungen ein gänzlich neues Konzept. Statt Kunstgeschichte zu feiern, denkt sie radikal vom Publikum aus – und statt zu fragen, was der Kunstbetrieb für wichtig hält, fragt sie, was ihre Besucherinnen und Besucher interessieren könnte. Die danken es ihr und strömten schon in Scharen in ihre Ausstellung „Almost Alive“, in der es um Menschenbilder und aktuelle Skulpturen rund um den Körper ging. Zuletzt hat sie die New Yorker Performance-Künstlerin Marina Abramovic nach Tübingen geholt. 31000 Leute wollten die Ausstellung sehen.

Die meisten großen Ausstellungshäuser im Land werden von Frauen geleitet

Nicole Fritz, die 1969 in Ludwigsburg geboren wurde, ist schon viel herumgekommen. Nachdem sie ihre Doktorarbeit über Joseph Beuys geschrieben hatte, wurde sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Kunsthalle Baden-Baden, hat 2006 für das Kunstministerium das Ausstellungsprojekt „Kunst lebt! Die Welt mit anderen Augen sehen“ koordiniert und wurde 2011 schließlich Chefin des Kunstmuseums Ravensburg.

Die meisten großen Ausstellungshäuser in Baden-Württemberg werden heute von Frauen geleitet und sind meist bemüht, im Kunstbetrieb die Gleichberechtigung voran zu bringen. Nicole Fritz ist aber auch innerhalb dieser neuen Generation eine Pionierin. Sie will „gesellschaftliche Bewegung und Prozesse initiieren“, wie sie sagt – und kann manchem Museum Vorbild sein, weil sie Kunst bewusst nicht mehr als etwas verhandelt, womit sich der Einzelne von der Masse abheben kann, sondern umgekehrt fragt, was die Kunst dem Menschen und der Gesellschaft geben kann. Damit ist sie auf dem besten Weg, Tübingen ein neues Museumswunder zu bescheren.