Gemeinschaftsgrab für Urnen auf dem Hauptfriedhof in Bad Cannstatt. Klicken Sie sich durch die Bilder. Foto: Peter Petsch

Wer einsam lebt, muss im Tod nicht alleine bleiben. Auf diesen kurzen Nenner lässt sich das jüngste Angebot der Stadt Stuttgart bringen. Zu Lebzeiten können sich Stuttgarter jetzt einen Platz im Gemeinschaftsgrab für Urnen samt Grabpflege sichern. Auf dem Hauptfriedhof sind dafür 80 Grabstellen vorgesehen.

Stuttgart - Prospekte, Zeitungen, Briefe – ein Briefkasten in einem mehrstöckigen Mietshaus quillt über. In der Wohnung findet die Polizei eine Rentnerin. Tot seit über drei Wochen, weil es offenbar keine Angehörigen mehr gibt, die sie vermisst hätten.

Eine andere Frau wurde vor längerem auf einem Friedhof in Stuttgart begraben. Auf der Grabstelle wuchert Unkraut zwischen verdorrten Blumen. Zwar gibt es Angehörige, doch die wohnen Hunderte Kilometer entfernt. Zu weit, um die letzte Ruhestätte der Verwandten regelmäßig zu pflegen.

Zwei Beispiele, zwei Schicksale, die zunächst wenig miteinander gemein haben, außer dass sie Veränderungen beschreiben, die unsere Gesellschaft durchlaufen hat und noch durchläuft. Eine Veränderung hin zu mehr Mobilität, zu mehr Individualität, siehe die vielen Single-Haushalte, und im schlechtesten Fall zu mehr Vereinsamung. „Mit unserem Konzept der Gemeinschaftsgräber wollen wir diesem Trend Rechnung tragen“, so Volker Schirner. Am Mittwoch stellte der Leiter des Garten-, Friedhofs- und Forstamts auf dem Hauptfriedhof in Bad Cannstatt das erste Gemeinschaftsgrab Stuttgarts für Urnenbestattungen vor.

Die vom Landschaftsarchitekturbüro Wölfing-Seelig entworfene, 150 000 teure Anlage umfasst 80 Felder verteilt auf drei Rondelle: 40 sogenannte Reihengräber, Grabstellen also, die die Stadt in der Reihenfolge der Anfrage vergibt, werden ergänzt durch 20 Wahlgräber, bei denen die Möglichkeit besteht, noch eine zweite Urne beizulegen. Gemeinschaftsgrab heißt: Die Nutzer sichern sich eine Art All-Inklusiv-Betreuung für die Zeit nach dem Tod, genauer für 20 Jahre. Im Preis von knapp 4000 Euro für ein Reihen- und gut 7500 Euro für ein Wahlgrab sind Bestattung, Inschrift und 20-jährige Grabpflege inbegriffen. Die Liegezeitzeit in den Wahlgräber lässt sich verlängern.

Jährlich 5000 Sterbefällen in Stuttgart

„Wir wollen unsere Friedhofskultur erhalten“, sagt Schirner, „und in der Art der Bestattung zeigt sich, wie Gesellschaften zu ihren Toten stehen“. Die Stadt möchte, dass sich Menschen wie jene vereinsamte Rentnerin nicht anonym bestatten lassen müssen, sondern die Chance haben, sich zu Lebzeiten eine würdige Ruhestätte zu sichern.

Zwar ist die Zahl anonymer Bestattungen mit um die 600 pro Jahr seit langem konstant, macht aber bei jährlich 5000 Sterbefällen in Stuttgart einen Anteil von über zehn Prozent aus. Anonyme Bestattungen, die immer für 165 Urnen en bloc in einem Sammelgrab erfolgen, bezahlt die Stadt. Sollten sich dank der Gemeinschaftsgräber hier Kosten sparen lassen, „ist das ein Nebeneffekt, der nicht der Anlass für das Angebot war“, sagt Schirners Kollege Stefan Braun von der Abteilung Friedhöfe und Bestattungen.

Verstärkt sich der Trend hin zur Individualgesellschaft weiter, wäre auf Stuttgarts Friedhöfen Platz genug für zusätzliche Gemeinschaftsgräber. Auf den 41 Stuttgarter Friedhöfen sind von 160 000 Grabstellen rund 35 000 frei. Das nächste Gemeinschaftsurnengrab entsteht mit 40 Plätzen auf dem Friedhof von Heslach. Vor einem Jahr wurde auf dem Hauptfriedhof ein Gemeinschaftsgrab für Erdbestattungen eröffnet. Allerdings blieb bei drei Bestattungen die Nachfrage bisher hinter den Erwartungen zurück. In anderen Kommunen boomten die Angebote, „aber vielleicht schreckt der Preis ab“, sagt Braun. Einen Sarg in einem Gemeinschaftsgrab bestatten zu lassen, kostet zwischen 7800 und gut 11 000 Euro.