Feieralarm beim neuen NFL-Meister Philadelphia Eagles Foto: AP

In der American-Football-Profiliga NFL ist nichts unmöglich. Bestes Beispiel dafür sind die Philadelphia Eagles, die als klarer Außenseiter den Superbowl gegen den Titelverteidiger New England Patriots gewonnen haben.

Minneapolis/Stuttgart - Chris Long hat jetzt ein „gutes Problem“, wie er es nennt. Der vollbärtige Verteidiger des neuen Meisters Philadelphia Eagles ist einer der markantesten Typen der American-Football-Profiliga NFL. In dieser Saison hat er beispielsweise eben mal sein gesamtes Jahresgehalt in Höhe von rund 1,8 Millionen Euro für soziale Bildungsprojekte gespendet – er wollte damit ein Zeichen gegen die blutigen rechtsextremen Ausschreitungen in seinem Heimatort Charlottesville im Bundesstaat Virginia Mitte August mit einer Toten und 19 Verletzten setzen.

Etwa zur gleichen Zeit schloss Chris Long vor der Saison auch eine Wette mit dem Eagles-Assistenztrainer Ken Flajole ab für den Fall, dass das Team aus Philadelphia den Titel holt. Und die muss der 32-Jährige nun einlösen. Denn der Außenseiter entthronte im hoch spannenden Superbowl am frühen Montagmorgen deutscher Zeit in Minneapolis überraschend den Titelverteidiger New England Patriots mit einem 41:33 (22:12). Das gute Problem für Chris Long an dem Triumph über die NFL-Übermannschaft des Jahrtausends um den 40-jährigen Superstar-Quarterback Tom Brady ist der Wetteinsatz: Er wird demnächst ein Porträt von Ken Flajole, der mit seinem Glatzkopf samt fein getrimmtem gräulichem Bart rund um Mund und Kinn herum auf den ersten Blick problemlos als Bösewicht in einem Hollywood-Film durchgehen würde, der Tattoosammlung auf seinem Körper hinzufügen.

Nehmerqualitäten und Herz wie Rocky, der berühmte Film-Boxheld aus Philadelphia

Es war eigentlich eine Wette, die Chris Long („Das war ursprünglich ein Witz, aber er hat mich jetzt daran erinnert“) nicht verlieren konnte. Als der Routinier im Sommer nach dem Titelgewinn mit den New England Patriots nach Philadelphia wechselte, kam er ja zu einer Mannschaft, die in der vergangenen Spielzeit mehr Partien verloren als gewonnen und somit die Play-offs verpasst hatte. Meister waren die Eagles zuvor letztmals 1960, noch vor der Einführung des Superbowls als Endspiel im Jahr 1967. Selbst nach starkem Saisonstart war Ken Flajoles Konterfei auf Chris Longs Haut kein Thema. Denn im Dezember verletzte sich der famose Quarterback Carson Wentz (Kreuzbandriss), daraufhin wurden die Eagles, trotz Tabellenführung, abgeschrieben.

Doch sie haben es allen gezeigt – mit Nehmerqualitäten und Herz wie Rocky, der berühmte Film-Boxheld aus Philadelphia. Die „Adler“ haben nach dem Ausfall ihres besten Spielers eine Jetzt-erst-recht-Mentalität entwickelt. Sie haben die Rolle als Underdog voll angenommen (und sich zum Ausdruck dessen nach den Siegen in den Play-offs teilweise Hundemasken übergestülpt) und daraus Stärke gezogen. Das gilt besonders für Wentz’ Ersatzmann Nick Foles, der sich von Spiel zu Spiel steigerte und im Superbowl nach einer glänzenden Leistung als wertvollster Akteur der Partie (MVP) ausgezeichnet wurde.

Das größte Offensivspektakel in der Geschichte des Superbowls

Der Meistertitel für die Eagles dank dem mutigen Alles-oder-nichts-Matchplan des Trainers Doug Pederson ist eine der größten Überraschungen in der Geschichte des Superbowls – und ein gutes Beispiel dafür, was die NFL so erfolgreich macht. Die sportlichen Hierarchien sind dank struktureller Voraussetzungen zur Schaffung von Ausgeglichenheit wie der Gehaltsobergrenze oder dem Draft (Nachwuchsspielerbörse) nicht in Stein gemeißelt. Jede Saison beginnt mit 32 Mannschaften – und mit 32 Meisterschaftskandidaten.

Jederzeit kann ein Team wie aus dem Nichts eine Saison später an die Spitze vorstoßen – so wie die Eagles. Vom Tellerwäscher zum Millionär. Eine Märchengeschichte. Die Unvorhersehbarkeit und die Spannung der meisten Spiele machen die Faszination NFL aus, darum wächst auch die Zahl ihrer Fans in Deutschland immer mehr. Das größte Offensivspektakel in der Geschichte des Superbowls mit insgesamt 1151 Yards Raumgewinn belohnte alle von ihnen, die am frühen Montagmorgen wach geblieben waren, um sich eines der größten Einzelsportevents der Welt anzuschauen.

Etliche Eagles-Spieler werden Besuch im Weißen Haus boykottieren

Als Meister werden die Eagles nun traditionsgemäß vom US-Präsidenten zum Besuch im Weißen Haus eingeladen. Bei diesem Anlass werden sie ihre mannschaftliche Geschlossenheit jedoch ausnahmsweise auflösen. Denn sie zählen zu den Teams, die am lautesten auf der großen NFL-Bühne gegen institutionalisierten Rassismus in den USA protestieren (etwa mit ihrer Haltung bei der Nationalhymne vor den Partien), was von Donald Trump generell sehr scharf kritisiert wurde.

Chris Long hat schon vor dem Superbowl als Erster angekündigt, wie schon nach dem Titelgewinn 2017 mit den Patriots nicht nach Washington zu reisen. „Ich werde nicht ins Weiße Haus gehen“, antwortete der NFL-Vorkämpfer für soziale Gerechtigkeit aus gutem weißen Hause auf eine entsprechende Frage: „Willst du mich veräppeln?“ Der folgende Shitstorm ließ ihn kalt. Er kümmert sich lieber um „gute Probleme“.