Die Gefängnisinsel Rikers Island mit der Skyline von Manhattan im Hintergrund. Der Komplex soll bis 2026 geschlossen werden. Foto: AP/Seth Wenig

Rikers Island ist New Yorks gigantisches, von Wasser umspültes Gefängnis, um das sich Horrorgeschichten ranken. Bis 2026 soll es durch vier kleinere Anstalten ersetzt werden. Den künftigen Nachbarn ist das nicht geheuer.

New York - Wer kurz vor dem Aufsetzen auf dem Rollfeld des New Yorker Flughafens La Guardia einen Blick direkt am Bauch der Maschine vorbei wagt, der kann eine kleine Insel im East River sehen, bebaut mit einer Reihe von Backsteingebäuden und Baracken und von einer stacheldrahtgekrönten Mauer umgeben: Rikers Island. Wer in New York diesen Namen fallen lässt, der wird eine Reaktion irgendwo zwischen Abscheu und Schaudern ernten. Rikers Island ist das New Yorker Alcatraz, ein gigantisches, von Wasser umspültes Gefängnis, um das sich Horrorgeschichten ranken. Nun soll Rikers, nach jahrzehntelangen vergeblichen Versuchen, die Anstalt zu reformieren, geschlossen werden.

Nachdem Bürgermeister Bill De Blasio schon beim Amtsantritt 2010 versprochen hatte, den Schandfleck von der Landkarte zu tilgen, hat Mitte Oktober die Stadtverordnetenversammlung acht Milliarden Dollar bewilligt, um Rikers bis 2026 dichtzumachen. Bis dahin sollen kleinere Vollzugsanstalten entstehen, die das größte Untersuchungsgefängnis an der US-Ostküste ersetzen. De Blasio feiert den Beschluss als einen der großen Erfolge seiner Amtszeit. Das Thema liegt ihm am Herzen.

Der Staat kriminalisiert systematisch Afroamerikaner

Ein großer Anteil der armen afroamerikanischen Bevölkerung wird seit den 80er Jahren unter dem Vorwand eines „Kriegs gegen Drogen“ kriminalisiert und eingesperrt. Die Brutalität unter den Gefangenen und die Misshandlungen durch das Personal sind nirgends so schlimm wie auf Rikers Island. Eine Resozialisierung findet nicht statt, im Gegenteil. Wer hier gelandet ist, der findet nur schwer in die Gesellschaft zurück, auch wenn das Delikt nur eine Bagatelle war.

So machte 2014 der Fall des 16 Jahre alten Kalief Browder aus der Bronx Schlagzeilen. Browder wurde beschuldigt, einem anderen Jugendlichen den Rucksack gestohlen zu haben – eine Tat, die ihm nicht nachgewiesen werden konnte. Browder kam nach Rikers, um dort seine Anklage abzuwarten. Weil sowohl das Gericht als auch sein Pflichtverteidiger überlastet und die Beweislage unklar war, zögerte sich sein Gerichtstermin immer weiter hinaus. Erschwerend kam hinzu, dass der 16-Jährige sich weigerte, sich schuldig zu bekennen und eine kurze Haftstrafe in Kauf zu nehmen.

Browder war am Ende drei Jahre auf Rikers; er erlitt dort Misshandlungen durch seine Mitinsassen sowie ausgedehnte Phasen von Einzelhaft. Als schließlich die Anklage fallen gelassen wurde, war er schwer traumatisiert und hatte entscheidende Jahre seines Lebens verloren. Die seelischen Wunden trieben ihn schließlich in den Selbstmord.

Die Nachbarn der künftigen Gefängnisse sind nicht begeistert

Das ist nicht die einzige Geschichte, die bekannt wurde. So erstickte der psychisch kranke Kriegsveteran Jermone Murdough, der wegen Vagabundierens verhaftet wurde, in seiner überhitzten Zelle. Jose Bautista, der wegen einer Rauferei verhaftet wurde und die 250 Dollar Kaution nicht aufbringen konnte, versuchte sich mit seiner Unterhose zu erhängen, weil er Rikers Island nicht mehr aushielt. Die Beamten, die ihn fanden, schlugen ihn so schwer, dass er beinahe an seinen inneren Verletzungen starb. Dennoch konnte niemand belangt werden. Die Aufsichtsbehörden fanden das Ausmaß der Gewaltanwendung verhältnismäßig. Die überwiegende Mehrheit der geschätzten 4000 jährlichen Fälle von Gewaltanwendung durch Beamte in Rikers wird nicht aufgearbeitet.

So bleibt der Politik nur noch die Schließung der Anstalt. Doch damit ist das Problem nicht gelöst. Dank sinkender Kriminalitätsraten und einem weit weniger drastischen Vorgehen der Polizei gegen Kleinkriminelle ist der Bedarf an Untersuchungsgefängnissen geschrumpft. New York benötigt dennoch weiterhin rund 7000 Plätze. Die sollen nun auf vier Stadtbezirke verteilt werden – in vier Reformgefängnissen mit einem Angebot an Bildung und Resozialisierung. Die Anwohner sind eher zurückhaltend. Auch in Gegenden wie Brooklyn und der Bronx, wo man einen humaneren Strafvollzug befürwortet, will man selbst lieber kein Gefängnis in der Nachbarschaft haben – schon gar nicht, wenn der Vollzug durchlässig ist. Der New Yorker Politik steht also noch ein langer Weg bevor. Bill de Blasio selbst ist indes fein heraus. Er kann den politischen Erfolg für sich verbuchen. Um die Umsetzung kümmern sich dann andere.