Klimawandel und andere Krisen erschüttern die Ernährungswirtschaft. In Hohenheim und beim New-Food-Festival wird an Lösungen geforscht und gearbeitet.
Ein Packung Kakao? Wenn überhaupt da, dann ganz schön teuer. Olivenöl? Im vergangenen Jahr bis zu 45 Prozent teurer. Orangensaft? Fast schon ein Luxusgut. Die Preise für Lebensmittel schwanken schon immer, in den vergangenen Jahren kennen sie aber eigentlich nur noch eine Richtung: Sie steigen. Die Gründe dafür wiederholen sich: Dürren, Unwetter, Krankheiten, egal ob in den Kakao-Anbaugebieten in Afrika, den Olivenländern am Mittelmeer oder etwa dem Orangenstaat Florida. Durch den Klimawandel häufen sich die Wetterextreme, Schädlinge treten in Gebieten auf, in denen es sie bisher nicht gab.
Die Nahrungsmittelindustrie ist also gebeutelt, in Verbindung mit weiteren Lieferengpässen, verändertem Konsumentenverhalten und Fachkräftemangel immer mehr. „Ein instabiles Foodsystem ist aber zu teuer“, sagt Mark Leinemann, Vorsitzender des Verbands crowdfoods. Deswegen arbeitet der „Verband der Innovatoren und Startups in Agrar, Food, Gastronomie und Handel“ permanent an Lösungen. Und deswegen gibt es auch das New-Food-Festival, das gerade zum zweiten Mal in Stuttgart stattfindet, zum ersten Mal an der Universität Hohenheim.
Seit Dienstagabend und noch bis Donnerstagabend tauschen sich bei der Fachkonferenz und der kleinen Messe 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer und 50 Ausstellende über die aktuellen Themen und Lösungsansätze für die vielfältigen Herausforderungen der Branche aus. Dazu gehören Wissenschaftler ebenso wie Start-ups, Betriebe aus der Agrar- und Lebensmittelwirtschaft genauso wie Vertreter von Gastronomie und Handel sowie mögliche Investoren. Die Teilnehmer kommen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Liechtenstein. Hauptveranstalter ist crowdfoods, Mitinitiatoren und Unterstützer sind die Wirtschaftsförderung der Landeshauptstadt und der Region Stuttgart und die Universität Hohenheim.
94 000 Menschen arbeiten in der Ernährungsbranche
Das wirtschaftliche Potenzial der Branche gerade auch in der Region Stuttgart wird dabei angesichts des omnipräsenten Automobilsektors oft unterschätzt. „Hier sind viele bedeutende Unternehmen der Ernährungswirtschaft angesiedelt, angefangen bei Agrarbetrieben über Lebensmittelhersteller und -händler, Maschinenbauer, der Verpackungsindustrie und der Gastronomie bis hin zu bedeutenden Forschungseinrichtungen“, sagte Konstantin Schneider von der Wirtschaftsförderung der Stadt bei der Eröffnungspressekonferenz. Er nannte die Zahl von rund 94 000 Beschäftigten in der Branche.
„Wir sind schon von der Historie her an Klimakatastrophen gewöhnt“, erinnerte Mario Jekle, Professor im Fachgebiet Pflanzliche Lebensmittel, an die Ursprünge der Universität Hohenheim. Im Jahr 1815 war der Vulkan Tambora in Indonesien ausgebrochen. Die Folge waren verheerende Missernten und Hungersnöte auf der ganzen Welt. Um dem entgegenzuwirken, gründete König Wilhelm I. von Württemberg 1818 den Vorläufer der heutigen Universität. Ziel war, eine Innovations- und Ideenschmiede für die Gesellschaft zu schaffen. Genau das ist heute mehr denn je wieder gefragt, Hohenheim spielt im Bereich Landwirtschaft und Ernährung dabei auch über Deutschland hinaus eine führende Rolle.
Viele bekannte Namen aus Stuttgart sind auf der Messe dabei
Beispiele für die Forschungen zur Transformation der Ernährungssysteme sind bei dem Festival viele zu finden. Lisa Berger etwa arbeitet mit ihrem Team im Technikum der Uni in Räumen, die wie eine Metzgerei aussehen, mit Geräten vom Zerkleinerer über den Wurstfüller bis zur Räucheranlage. Nur Fleisch gibt es hier nicht. Stattdessen betreiben die Wissenschaftler Grundlagenforschung mit dem Ziel, leckere vegane Salami herzustellen. Zutaten sind Soja-, Weizen- und Erbsenprotein, Rote Bete als Farbstoff und Methoden wie Fermentation, um den Geschmack zu verfeinern. Lisa Berger: „Es gibt kein Wissen darüber, wie sich die Mischung bei der Fermentation verhält.“ Genau daran forscht sie unter anderem, insgesamt schon seit vier, fünf Jahren. Eine der größeren Herausforderungen ist es, eine schnittfeste, farbechte, vegane Mayonnaise aus Soja herzustellen, die den Fettaugen in herkömmlicher Salami täuschend ähnlich sieht und gut schmeckt.
Unter den Ausstellern bei der kleinen Messe sind auch bekannte Namen aus Stuttgart zu finden, etwa die Kleinblatt GmbH aus dem Stuttgarter Westen mit ihren leckeren Keimlingen oder der scharfe afrikanische Kahombo Dip. Die Themen und Herausforderungen werden der aufstrebenden New-Food-Branche so schnell nicht ausgehen. Neben dem Klimawandel drohen weitere Erschütterungen durch die auch menschengemachten Handelskriege und Zollandrohungen. Die USA sind einer der Hauptlieferanten für Soja, mehr als 80 Prozent des hierzulande verarbeiteten oder verzehrten Knoblauchs kommen aus China.