Vorbildfunktion? Wohl eher nicht. Foto: AP/Thomas Kienzle

Das erste Corona-Wochenende der Bundesliga verläuft weitgehend reibungslos, größere Zwischenfälle bleiben aus. Nur die Hertha fällt auf – mit distanzlosem Torjubel.

Stuttgart - Da reisten die Bundesliga-Mannschaften teils mit zwei Bussen in die Stadien, da wurden die Bälle kurz vor dem Anpfiff desinfiziert, da blieben die Ersatzbänke leer, da saßen die Ersatzspieler mit ihren Masken teils auf den Tribünen, auf der Ehrentribüne die Verantwortlichen der Clubs (übrigens alle mit einer Tagesakkreditierung) nach dem Fiebermessen so weit auseinander, dass sie teils per Handy kommunizieren mussten.

Und Hertha BSC tanzte am Samstag in Sinsheim Ringelpiez mit Anfassen.

Die Bundesliga ging beim Neubeginn so gut es irgendwie ging auf Abstand, auch der Torjubel auf dem Platz fiel in den allermeisten Fällen vorbildlich aus. Profis des SC Freiburg etwa kontaktierten sich per Ellbogen, Borussia Dortmund tanzte auf Abstand. Und die Berliner?

Geküsst wurde auch

Die gaben die Kuschelgesellschaft und feierten ihre Tore, als sei nichts gewesen. Von wegen Mindestabstand – maximaler Jubel war angesagt. 3:0 gewann Hertha BSC bei der TSG Hoffenheim, und nach allen drei Toren bildeten die Berliner eine Traube. Dedryck Boyata küsste Marko Grujic augenscheinlich auf die Wange, und später sprang Stürmer Vedad Ibisevic den Kollegen Cunha von hinten an, solche Dinge passierten.

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War das nun also der nächste Berliner Corona-Skandal nach dem Kabinenvideo des längst suspendierten Salomon Kalou? Lässt die Alte Dame in diesem Jahr kein Fettnäpfchen aus nach Klinsmann, Kalou und dem ganzen Chaos? Oder ist das mit dem Jubel doch ganz harmlos – harmloser zumindest, wie es Teile des Boulevards nun darstellen. Vom Kuss-Eklat ist da schon die die Rede.

Labbadia versucht zu beschwichtigen

Herthas neuer Coach Bruno Labbadia, ein ehemaliger Vollblutstürmer, verteidigte seine Jungs noch am Samstagabend im Staccato-Takt. Er sagte: „Ich hoffe, die Menschen draußen haben Verständnis dafür. Es ist nur eine Empfehlung der DFL, sich beim Jubeln zurückzuhalten. Wir würden sechsmal negativ getestet, zuletzt gestern. Emotionen gehören auch ein Stück weit dazu.“ Am Sonntag legte Labbadia nach: „Wir müssen aufpassen, dass wir jetzt nicht wie im Kirchenchor auftreten. Trotzdem werden wir natürlich mit den Spielern darüber reden.“

Tatsächlich sprach die Deutsche Fußball-Liga (DFL) wie von Labbadia geschildert nur eine Empfehlung zum kontaktlosen Torjubel ohne Umarmungen an die Clubs aus. Heißt also: Offiziell verboten war Herthas Jubel nicht, der Club hat demzufolge keine Konsequenzen zu befürchten.

Söder appelliert an die Vorbildfunktion

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gehört zu denen, die Sanktionen gegen die Hertha wohl begrüßen würden. Söder, ansonsten Stammgast in politischen Talkshows, begab sich am Sonntag auf ungewohntes Terrain. Er war zu Gast im Sport1-„Doppelpass“ – und betonte da, dass „das Neustart-Experiment der Liga unter dem Strich gelungen ist. Es war viel besser als gedacht.“ Die Liga, so Söder weiter, habe den ersten Härtetest bestanden.

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Den Berliner Torjubel aber, das betonte Söder explizit, den fand er „nicht gut“. Einen kleinen Seitenhieb gegen die DFL (nur verbal, ohne Körperkontakt) schob er hinterher: Er gehe davon aus, sagte Söder, dass die DFL ihre Anweisungen zum Torjubel „bestimmt noch einmal nachschärfen“ wird, denn: „Der Fußball hat eine extreme Vorbildfunktion, deshalb sollte man die Anweisungen einhalten.“

Der Berliner Jubel ist zum Politikum geworden – einer der Oberjubler hat dafür wenig Verständnis. Hertha-Torschütze Vedad Ibisevic betonte, dass man Emotionen nicht verstecken könne: „Ich habe unseren Doktor vor dem Spiel gefragt, ob das Tor zählt, wenn man das macht. Das war für mich das Allerwichtigste.“ Ibisevic sagte auch noch, dass es ihm leid tue, „aber wir sind leidenschaftliche Fußballer und keine Roboter“.

Jetzt übertreibt mal nicht!

Nun ist es wohl nicht ausgeschlossen, dass die Hertha und auch andere Clubs sich gerade diese Jubel-Gedanken machen, diese aber aufgrund der brisanten Gemengelage und der recht breit vertretenen öffentlichen Meinung, dass der Profifußball eine Sonderrolle einnehme, nie aussprechen würden: Was soll das Theater, wir sind eine Woche lang in Quarantäne, werden permanent getestet, wir führen im Training Zweikämpfe gegeneinander und im Spiel gegen den Gegner – und wir dürfen uns jetzt nicht mal anfassen beim Jubeln? Jetzt übertreibt mal nicht!

Die Gemengelage ist kompliziert. Grenzen zwischen dem, was vielleicht gerade noch erlaubt ist, und dem, was zumindest für Teile des Publikums moralisch mehr denn je verwerflich zu sein scheint, verschwimmen in diesen Corona-Zeiten des Fußballs. Die Macht der Bilder, die ja nichts Anderes zeigen als hemmungslosen Berliner Jubel, spricht dabei gegen die Hertha.

An diesem Freitag steigt das Stadtderby gegen den 1. FC Union im Berliner Olympiastadion. Man darf gespannt sein, was passiert, wenn die Hertha ein Tor schießt.