Die zwei Neuen an der Oper Stuttgart: Viktor Schoner (re.) und Cornelius Meister Foto: Matthias Baus

Im September beginnt mit Viktor Schoner als Intendant und mit Cornelius Meister als Generalmusikdirektor eine neue Ära an der Oper Stuttgart. Beide verbinden Traditionen des Hauses mit neuen Namen, neuen Akzenten, viel Zeitgenössischem – und wagen sich mit Béla Bartóks „Blaubart“ sogar schon sechs Jahre vor der Sanierung einmal testweise in die Interimsspielstätte.

Stuttgart - Wenn das kein Statement ist: Wenn am 28. September in der Oper eine neue Ära beginnt, dann geschieht dies ausgerechnet mit der ältesten Inszenierung des Hauses, Achim Freyers „Freischütz“. Aha, mag man denken, die neuen Herren im Haus, also der Intendant Viktor Schoner und der Generalmusikdirektor Cornelius Meister, wollen sich vor der großen Tradition am Eckensee verneigen, bevor sie mit Neuem in die Vollen gehen. Das stimmt – aber nur ein bisschen. Denn die Verneigung der beiden Herren gilt nicht nur einem, nein: dem Erfolgsstück der Oper Stuttgart, sondern verweist auf den Geist des Hauses. 1980, nach der Premiere des „Freischütz“, ging ein Sturm der Entrüstung auf den damaligen Intendanten Klaus Zehelein nieder, es hagelte Abonnementskündigungen, und Zehelein wurde vorgeworfen, das Opernhaus leer zu spielen. Man hat das ausgehalten. Und nachdem sich der Protest gelegt hatte, etablierte sich die Oper als Hochburg des Regietheaters, in der man so ernst- und gewissenhaft wie nirgends sonst immer wieder die Frage stellte, was und wie Musiktheater in unserer Zeit zu sein und wie es auf diese zu reagieren habe.

Viktor Schoner ist der dritte Intendant nach Klaus Zehelein. Mit Publikumsbeschimpfungen wie ehedem muss er nicht mehr rechnen. Aber den Diskurs zu pflegen und die Stadtgesellschaft miteinzubeziehen, ist ihm ein ernstes Anliegen. Für Cornelius Meister gilt Gleiches – warum sonst hätte er schließlich auf die Idee kommen sollen, sein erstes Sinfoniekonzert mit dem Staatsorchester ausgerechnet mit John Cages „4’33’’“ zu beginnen? „Wir wollen erst einmal dem Publikum zuhören“, begründet Meister die Wahl dieses Skandalstückes von ehedem, bei dem außer den Geräuschen aus dem Saal rein gar nichts zu hören ist.

Mischung von Tradition und Innovation

„Wir stellen erst einmal Fragen“, so formuliert es Viktor Schoner – und verweist damit auch auf die erste Premiere seiner ersten Saison, Richard Wagners „Lohengrin“. Diese Wahl ist ebenfalls beileibe keine bloße Verneigung vor der Tradition des Hauses (1912 wurde der Littmann-Bau mit „Lohengrin“ eröffnet“, später etablierte sich Stuttgart als „Winter-Bayreuth“), sondern ist außerdem eine selbstbewusste Ansage: 2009 gerieten sich über einer Neuproduktion dieses Stücks der damalige Intendant Albrecht Puhlmann und sein Generalmusikdirektor Manfred Honeck in die Haare – mit dem Ergebnis, dass die Politik Puhlmanns Vertrag nicht verlängerte.

Regisseur des „Lohengrin“ (dessen Premiere SWR 2 live überträgt) wird der Ungar Árpád Schilling sein, und auch die restlichen Neuproduktionen bieten zahlreiche neue Namen. Krzysztof Warlikowski ist (mit Glucks „Iphigénie en Tauride“) unter den Stuttgart-Debütanten der bekannteste, er hat schon an der Bayerischen Staatsoper für sehr bilderreiche Inszenierungen gesorgt. Auch Àlex Ollé, Mitglied der Truppe La Fura dels Baus, hat andernorts schon Aufmerksamkeit erregt. Zu ihnen gesellt sich der Schauspielregisseur Stephan Kimmig, der mit seiner Inszenierung von „Der Prinz von Homburg“ an die lange Henze-Tradition des Hauses anknüpfen wird. Marco Storman, zuletzt Regisseur an der Jungen Oper, wird John Adams’ Polit-Oper „Nixon in China“ inszenieren. Und der Künstler Hans Op de Beeck ist eingeladen, Bilder und Räume zu Béla Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“ zu erdenken.

17 alte Produktionen werden übernommen

Diese Produktion wird etwas ganz Besonderes sein: weil sie an dem Ort stattfindet, der in etwa sechs Jahren als Interimsspielstätte der Oper Asyl bieten soll. Dass Schoner und Meister schon vorab einfach mal ausprobieren wollen, wie sich Musiktheater dort anfühlen, wie es klingen und aussehen könnte: Auch das zeugt von der Lust des neuen Teams am Ausprobieren. Wobei das Alte, Bewährte weiterhin da sein wird: 17 Produktionen des Repertoires werden auch weiterhin am Eckensee gespielt, und im Sängerensemble mischen sich ziemlich paritätisch bekannte und beliebte Gesichter mit neuen, die vor allem der neue Castingdirektor Boris Ignatov gesichtet und ausgesucht hat.

Er mache, betont Cornelius Meister, keinen Unterschied zwischen Premieren und Repertoirevorstellungen, ihm sei alles wichtig. Deshalb wird er neben „Lohengrin“ und „Der Prinz von Homburg“ auch „Tosca“, „La Bohème“, „Così fan tutte“ und „Ariadne auf Naxos“ dirigieren. Außerdem steht der Generalmusikdirektor bei drei Sinfoniekonzerten des Staatsorchesters am Pult – und bei einem Filmkonzert mit Charlie Chaplins „Moderne Zeiten“ im Opernhaus. Das Programm der Konzerte ist, wie beim Staatsorchester üblich, fein komponiert, es fächert bewusst das Kollektiv auf, bietet exzellente Namen – und als Clou Tschaikowskys sechste Sinfonie unter der Leitung des 86-jährigen Vladimir Fedoseyev. Außerdem wird es ein großes Kinder- und Familienkonzert im Opernhaus geben.

„Es gibt“, sagt beglückt der designierte Intendant, „kein anderes Haus mit einer solchen Vielfalt, Kontinuität und Ernsthaftigkeit“, und es könne doch eigentlich nichts Schöneres, Erfüllenderes geben, als dieses Besondere zu erhalten. Sagt’s mit glühenden Wangen – und am 8. Juni wird man noch mehr erfahren. Spannende Zeiten!