Katrin König (Anneke Kim Sarnau) sucht den Mörder eines Obdachlosen. Foto: ARD

Was für ein Hin und Her. Erst „Tatort“, jetzt „Polizeiruf“: Warum die Verantwortlichen gleich zweimal das Programm für den Neujahrsabend geändert haben.

Stuttgart - Der Gedanke verbietet sich eigentlich, weil er so zynisch klingt, aber abwegig ist er nicht: Will ein Sender einen Film über Terrorismus zeigen, hofft man in der Programmplanung vermutlich, es möge nicht ausgerechnet jetzt zu einem Anschlag kommen, denn das hätte unweigerlich eine Programmänderung zur Folge. Derartige Eingriffe sind nicht nur stets mit Aufwand verbunden, sie führen auch regelmäßig zu verärgerten Zuschauerreaktionen. Weil sich der „Tatort“ in den letzten Jahren immer öfter mit Terrorthemen befasst hat, ist hier die Gefahr einer kurzfristigen Absetzung besonders groß. Vor gut einem Jahr musste die ARD nach den Terroranschlägen von Paris im November 2015 einen äußerst gewalthaltigen Zweiteiler mit Til Schweiger verschieben: Der erste Teil, „Der große Schmerz“, hatte mit einer beklemmend realistisch inszenierten Geiselnahme im Studio der ARD-Nachrichten begonnen.

Bei dem für Neujahr geplanten „Tatort“ aus Dortmund, „Sturm“, war es vor allem der Schluss, der die ARD zur Absetzung bewog. Der Hochspannungsthriller handelt von einem vermeintlich deutschstämmigen Islamisten, der damit droht, sich in einem Bankgebäude mit einem Sprengstoffgürtel umzubringen. Tatsächlich ist der Mann jedoch erpresst worden, das Leben von Frau und Tochter steht auf dem Spiel. Die Geschichte endet tragisch und erschütternd, als der Drahtzieher, tatsächlich ein Islamist, mit einem Transporter voller Sprengstoff auf den Platz vor der Bank fährt. Die Polizisten eröffnen das Feuer, das Fahrzeug fliegt trotzdem in die Luft, es gibt Tote und Verletzte.

Striesow darf noch nicht ran

Abgesehen davon weist das Szenario streng genommen keinerlei Parallelen zu den Berliner Terrorereignissen kurz vor Weihnachten auf, als ein Mann mit einem Lkw vorsätzlich in den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gefahren war und zwölf Menschen getötet und fast fünfzig verletzt hat. Die Entscheidung der ARD ist trotzdem nachvollziehbar. Programmdirektor Volker Herres begründet die Absetzung „mit Bildern und Eindrücken, die Assoziationen zum Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin wecken. Natürlich muss ein ‚Tatort‘ nah an gesellschaftlichen Realitäten sein. Aber mit Rücksicht auf die Opfer, ihre Angehörigen, Betroffene und das Empfinden von Zuschauern wollen wir diesen ‚Tatort‘ nicht am Abend des ersten Tages im neuen Jahr, sondern mit größerem zeitlichen Abstand zeigen.“

Geplanter Ersatz war ein ursprünglich für den 29. Januar vorgesehener „Tatort“ aus Saarbrücken („Väter und Söhne“). Damit wäre die Sache eigentlich erledigt, aber wer sich schon auf den Krimi mit Devid Striesow als Kommissar der etwas anderen Art gefreut hat, muss sich erneut umstellen: Das Erste hat auch diesen Plan verworfen; diesmal allerdings nicht aus inhaltlichen Gründen. Der Saarländische Rundfunk (SR) hat ein Veto eingelegt, weil der Sender seinen regelmäßig zu Jahresbeginn gezeigten „Tatort“ traditionell beim wenige Tage zuvor stattfindenden Max-Ophüls-Festival (23. bis 29. Januar) in Saarbrücken zeigt. Auch das ist verständlich; eine Filmvorführung ist kaum noch als Ereignis zu verkaufen, wenn der Krimi drei Wochen zuvor im Fernsehen zu sehen gewesen ist. Ob man dies in der ARD-Programmdirektion nicht wusste oder einfach bloß vergessen hat, beim SR nachzufragen, ist letztlich auch egal. Der „Tatort: Väter und Söhne“ läuft nun wie geplant am 29. Januar, und der endgültige Ersatz für „Sturm“ ist ein „Polizeiruf 110“ aus Rostock mit dem Titel „Angst heiligt die Mittel“.

Lehrstück über Vorurteile

In dem Krimi sucht das Duo Bukow und König (Charly Hübner, Anneke Kim Sarnau) in einem Dorf nach dem Mörder einer Obdachlosen. Der Film ist nicht zuletzt ein Lehrstück über Vorurteile, denn die Dorfgemeinschaft ist überzeugt, dass zwei erst kürzlich entlassene Straftäter für die Tat verantwortlich sind: Der eine ist ein verurteilter Vergewaltiger, der andere ein Kinderschänder. Im Gegensatz zu den Krimis aus Saarbrücken, die es nicht zuletzt wegen der seltenen Ausstrahlungen bei der „Tatort“-Gemeinde etwas schwer haben, hat der „Polizeiruf“ des NDR gerade wegen der Kombination Hübner/Sarnau sehr viele Fans, die angesichts der neuerlichen Programmänderung ihre Freude in den sozialen Netzwerken nicht verhehlen: „Gute Entscheidung. Der Polizeiruf aus Rostock ist der bessere ‚Tatort‘“, schreibt ein Fan beispielsweise auf der „Tatort“-Facebook-Seite. Es gibt aber auch Zuschauer, die auf ebendieser Seite ihrem Ärger über das Hin und Her der ARD Luft machen: „Null Verständnis für dies Rumgeeiere! Traut doch mal der ‚Tatort‘-Fangemeinde zu, ein reales Ereignis von einem fiktiven zu trennen. Ich habe diese pseudomoralische Bevormundung so was von satt. Deshalb: ‚Tatort Sturm‘ am vorgesehenen Sendeplatz!“

ARD, Sonntag, 20.15 Uhr