Die Grünen bemühen sich bei ihrem Neujahrsempfang in Esslingen, die politischen Wogen im Wahlkampf zu glätten. Trotz einzelner Seitenhiebe gegen Friedrich Merz richtet sich der Blick bereits auf mögliche Koalitionsverhandlungen.
Inhaltlich ist es ein schwieriger Bundestagswahlkampf für die Grünen. Ihr eigentliches Kernthema – der Klimaschutz – kommt im politischen Diskurs derzeit kaum vor. Der Neujahrsempfang des Esslinger Kreisverbandes der Partei bildet dabei keine Ausnahme. Stattdessen ist der Abend im CVJM-Haus in Esslingen geprägt von den jüngsten Ereignissen im Bundestag.
Stargast Winfried Kretschmann erzählt, er habe mit Erstaunen auf die hitzige Debatte um das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz im deutschen Parlament geblickt. Anschließend holt der baden-württembergische Ministerpräsident zu einem Seitenhieb auf den Kanzlerkandidaten der Unionsparteien aus: „Man merkt Friedrich Merz an, dass er noch nie regiert hat.“ Mit seinen Abstimmungen zusammen mit der AfD habe er einen „schweren Fehler“ gemacht. Angesichts der Chancen des CDU-Chefs aufs Kanzleramt schiebt Kretschmann aber hinterher: „Besser, er macht so einen Fehler jetzt – bevor er möglicherweise Kanzler wird.“
Grüne sprechen in Esslingen über Koalitionsverhandlungen
Diese versöhnliche Einordnung passt zum Grundton der Veranstaltung. Die Grünen legen im CVJM-Haus großen Wert darauf, die politischen Wogen zu glätten. Ihre Vertreterinnen und Vertreter wirken bemüht, die Partei als Stimme der Vernunft zu präsentieren – und als geeignete Koalitionspartnerin. So bezeichnet die Landtagsabgeordnete Andrea Lindlohr die Grünen als „die Kraft der Mitte“. In Anlehnung an Angela Merkel fordert sie einen Zustand, „in dem später wieder Kompromisse möglich sind“.
Sebastian Schäfer wählt ganz ähnliche Worte. Der Esslinger Bundestagsabgeordnete ruft die Parteien des demokratischen Spektrums auf, „einen vernünftigen Kompromiss in der Mitte zu finden.“ Schäfer, der erneut für das deutsche Parlament kandidiert, mahnt: „Wir dürfen nicht vergessen, dass es einen Tag nach der Wahl gibt.“
Solche Aussagen lassen sich auch als Signal an die Unionsparteien verstehen. Kommt es bald zu einer schwarz-grünen Koalition auf Bundesebene? „Das ist offen“, lautet Kretschmanns trockene Antwort. Aus seiner Erfahrung auf Landesebene könne er jedoch sagen, dass eine Zusammenarbeit mit der CDU „nicht schwieriger als mit der SPD“ sei.
Grüne Jugend: „Wir ziehen alle an einem Strang“
Neben dem Wahlkampfverlauf dominieren Wirtschaftsthemen den Abend. In einer Podiumsdiskussion kritisiert die Kirchheimer Unternehmerin Bettina Schmauder das Ausmaß der bürokratischen Vorschriften im Land. „Das vermiest uns teilweise die Freude am Arbeiten“, sagt Schmauder.
Kretschmann entgegnet: „Regeln für das Zusammenleben und die Bürokratie, die daraus erfolgt, sind nötig.“ Diese Einsicht werde derzeit unter anderem von dem US-Präsidenten Donald Trump angegriffen. Dessen Botschaft „Weg mit den Regeln“ sei deshalb gefährlich, weil sie zu einem Recht des Stärkeren und in letzter Konsequenz zum Krieg führe. Allerdings verspricht der Ministerpräsident: „Wir werden die Bürokratie relevant abbauen und vereinfachen.“
Von internen Reibereien ist in Esslingen indes nicht viel zu spüren. Zuletzt war Kanzlerkandidat Robert Habeck mit einem Sicherheitsplan vor allem bei der Grünen Jugend auf Kritik gestoßen. Maximilian Kreft aus dem Esslinger Kreisvorstand der Jugendorganisation stellt klar: „Einen gewissen Spalt zwischen Jung und Alt gibt es immer, aber wir ziehen alle an einem Strang.“ Deutlich wird jedoch: Die fehlende Präsenz des Klimathemas schmerzt die Jugend. Krefts Vorstandskollegin Anja Chrzanowska sagt: „Gerade als junger Mensch ist es schlimm, zu sehen, dass das derzeit so eine untergeordnete Rolle spielt.“