Diamorphin ist synthetisch hergestelltes Heroin und wird auch in der Therapie von Junkies eingesetzt. In Stuttgart soll die Behandlung von 40 bis 60 Patienten Ende 2013 starten. Foto: AP

Ehe die neue Suchtpraxis in der Kriegsbergstraße erste ­­Ex-Junkies behandelt, muss das Haus saniert werden.

Stuttgart - Die Landeshauptstadt könnte die erste Stadt in Deutschland werden, in der schwer suchtkranke Junkies synthetisches Heroin – den Stoff Diamorphin – in einer regulären Suchtpraxis erhalten. Allerdings verzögert sich die Inbetriebnahme der Praxis in der Kriegsbergstraße 40 nach Informationen unserer Zeitung mindestens bis Mitte, eher aber Ende 2013.

Ein bundesweiter Modellversuch hatte 2002 bis 2008 gezeigt, dass die Behandlung mit Diamorphin erfolgreich sein kann. Unter den sieben Städten, in denen Junkies sich unter ärztlicher Aufsicht künstliches Heroin injizieren, war auch Karlsruhe als einzige Stadt aus Baden-Württemberg dabei. Seit dem Auslaufen des Modellversuchs betreiben die sieben Städte ihre Diamorphin-Praxen in Eigenregie weiter.

Ministerium will Antrag der Stadt genehmigen

Stuttgart wird das Therapiemodell hingegen unter regulären Bedingungen einführen. „Ich freue mich sehr, dass die Landeshauptstadt den Weg dafür frei macht“, sagt Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) unserer Zeitung. Das Ministerium will den städtischen Antrag genehmigen. Stuttgarts Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer (FDP) begrüßt die Diamorphin-Behandlung als einen „zusätzlichen und wichtigen Baustein“ in der Drogentherapie.

Das Land gibt auch einen Zuschuss: „Wir werden die Stadt mit einem Investitionszuschuss von voraussichtlich rund 150.000 Euro unterstützen“, kündigt Altpeter an. Die vorige CDU-FDP-Regierung hatte maximal 100.000 Euro in Aussicht gestellt. Das Geld soll die Kosten der erforderlichen Sicherheitstechnik in der Praxis abdecken.

Die Stadt Stuttgart stellt 2,2 Millionen Euro für die Sanierung und den Umbau der Kriegsbergstraße 40 bereit. Doch das städtische Gebäude, das ursprünglich das nahe Klinikum als Bürohaus nutzen sollte, stand vier Jahre leer und ist in einem desolaten Zustand. „Hier ist eine Kernsanierung nötig, die im Umfang einem Neubau entspricht“, ahnt ein Beteiligter. Bis zur Eröffnung der Praxis sei daher Geduld nötig.

Streit um Kosten für die Verzögerungen

Warten ist man gewohnt: Der Bundestag hatte den Weg zur Diamorphin-Behandlung zwar bereits im Mai 2009 durch Gesetzesänderung frei gemacht. Ein Jahr später hieß es in Stuttgart, man könne 2011 mit der Therapie starten. Dann sorgte auf Bundesebene ein Streit um die Kosten für Verzögerungen. Die Krankenkasse zahlt die Diamorphin-Therapie; die Ärzte erhalten gegebenenfalls Zuschüsse der Kommunen. Ende 2011 sagten schließlich die Stuttgarter Stadträte mit breiter Mehrheit Ja. Zum Stand des Bauvorhabens will sich die Stadtverwaltung demnächst im Gemeinderat äußern.

Die Zugangsvoraussetzungen für die Diamorphin-Therapie sind streng: Ein Patient muss seit mindestens fünf Jahren von Opiaten wie Heroin abhängig sein; er muss zwei Behandlungen erfolglos abgebrochen haben sowie 23 Jahre oder älter sein. Von den rund 1500 Konsumenten harter Drogen in Stuttgart werden bereits rund 850 substituiert, das heißt, sie erhalten Ersatzstoffe wie Methadon. Substitution soll den körperlichen und sozialen Absturz stoppen und – in der Theorie – längerfristig ein drogenabstinentes Leben ermöglichen.

Enges Korsett der Therapie schreckt bisher viele ab

Von den 850 Substitutionspatienten erfüllen 150 formal die Voraussetzungen für das Diamorphin-Programm. Aber nur 40 Männer und Frauen haben bisher erklärt, dass sie ein konkretes Interesse daran hätten. Weitere 20 Personen könnten aus dem Stuttgarter Umland hinzukommen. Diamorphin kann zwar, anders als Methadon, auch die psychische Sucht befriedigen. Doch das enge Korsett der Therapie schreckt bislang viele Süchtige ab. „Ehe die Praxis startet, müssen wir das Konzept in der Szene nochmals bekannt machen“, sagt Uli Binder, Chef der Drogenberatung Release.

In der Praxis Kriegsbergstraße 40, die von dem erfahrenen Suchtmediziner Andreas Zsolnai geleitet wird, sollen 60 Patienten mit Diamorphin und 150 mit Methadon an 365 Tagen im Jahr behandelt werden. Die Polizei ist in das Sicherheitskonzept der Praxis eingebunden. Vorstellbare Konflikte zwischen den Ex-Junkies und den Besuchern der Universität oder des Katharinenhospitals will man im Auge behalten. „Aus unserer Sicht sollte es im Umfeld der Diamorphin-Praxis nur wenige Probleme geben“, meint Klaus Huber, Leiter des Drogendezernats.