Abbild einer umfassenden Schieflage: Blick auf die WG in Felicia Zellers „Ich, dein großer analoger Bruder, sein verfickter Kater und du“ im Theater Rampe Foto: Thomas M. Jauk

Der neue WG-Mitbewohner droht mit seinem Kontrollwahn das Kommando zu übernehmen. Wie Felicia Zeller aus dieser Konstellation in „Ich, dein großer analoger Bruder, sein verfickter Kater und du“ ein wortgewaltiges Stück über virtuelle Realitäten macht, ist im Theater Rampe zu erleben.

Stuttgart - Was für ein sprachgewaltiger Abend, bei dem soziale Netzwerke, virtuelle Identitäten, digitale Logarithmen, Big Data und Cyberstalking rein analog wahrnehmbar werden! Unter dem Titel „Ich, dein großer, analoger Bruder, sein verfickter Kater und du“ erlebte Felicia Zellers beim Koproduzenten, dem Staatstheater Saarland, uraufgeführtes Auftragswerk am Samstag seine Stuttgart-Premiere im Theater Rampe.

Vier WG-Bewohner liefern sich vor einer anfänglich nur durch Absperrgitter markierten Bühne einen verbalen Schlagabtausch, der sich aus mehr oder minder stark rhythmisierten Monologfetzen zusammenpuzzelt. Unter Auslassung der Verben am Satzende streiten die vier gewieften und zungenfertigen Darsteller Barbara Behrendt, Cino Djavid, Niko Eleftheriadis und Yevgenis Korolov über Alltägliches genauso wie über den neuen Mitbewohner samt Katze, der mit seinem Kontroll- und Dokumentationswahn schleichend das Kommando zu übernehmen droht.

Eine Parabel auf die Gefahren der Digitalisierung

Mit hohem Tempo und ausdifferenzierter Mimik gesprochene Lückentexte schichten sich nach und nach zu einer Sprachcollage, die vieles zugleich erzählt. Da geht es um die Nöte der einzelnen Bewohner, die eine immer stärkere Furcht vor den Vorschriften des Fimmelmanns entwickeln und seinen fett werdenden Kater dennoch mit Informationen und Zuwendung füttern. Die Rede ist aber auch von der Journalistin A., die vom Radar verschwindet und in die Fänge eines repressiven Systems gerät. Die Zustände in der WG sind eben nur das verkleinerte Abbild einer weit umfassenderen Schieflage.

Riesige Mikado-Stäbe vernetzen sich erst zu einem bewohnbaren Dickicht, in dem es sich die Protagonisten bequem machen. Später kehren sich die Stäbe um, mutieren zu Pfeilen, die gegen die entmachteten Mieter gerichtet sind. Bei der Neusortierung des Bühnenbildes durch die Darsteller entstehen Pausen, in denen das Publikum die ungeheure Fülle an Informationen ein wenig ordnen kann. Am Schluss bilden die Mikado-Stäbe einen Barcode, hinter dem der Einzelne zu verschwinden droht. Zellers Parabel auf die Gefahren der Digitalisierung unter der Regie von Marie Bues wird man noch lang im Gedächtnis behalten, nicht nur, weil die den Realitätsabgleich erschreckend gut besteht.