Auf der Industriebrache neben den Gleisen ist in den vergangenen Jahren ein neues Stadtquartier entstanden. Foto: Kuhnle

Wohnungen, Büros, ein Hotel, Restaurants und Clubs – wo einst die Angestellten der Strickwarenfirma Bleyle arbeiteten, ist in Ludwigsburg ein neues Stadtquartier entstanden. Jetzt ist das Großprojekt abgeschlossen, an diesem Freitag wird gefeiert.

Ludwigsburg - Ein Vierteljahrhundert – so lange hat es gedauert. Als der Strickwarenhersteller Bleyle 1988 Insolvenz anmeldete, war das für Ludwigsburg ein Schock. Nicht nur, weil eine lange Firmengeschichte endete. Auch, weil anfangs völlig unklar war, was mit der Industriebrache hinter dem Ludwigsburger Bahnhof geschehen soll. Als dann eine vermögende Familie das Gelände kaufte und Anfang der 1990er erstmals öffentlich Pläne für die Neugestaltung vorstellen ließ, wandelte sich der Schock in Euphorie.

Von einem „Ei des Kolumbus“ war die Rede, weil mit dem Projekt endlich die lang ersehnte Verbindung zwischen der Innenstadt und der Weststadt in greifbare Nähe rückte. „Was wir nicht zu hoffen wagten, hat jetzt eine Realisierungsmöglichkeit“, jubelte der Oberbürgermeister Hans Jochen Henke, und der Gemeinderat feierte die Ankündigung der Investoren, Teile der historischen Bausubstanz in das geplante Stadtquartier zu integrieren.

25 Jahre danach wird wieder gefeiert. Der Bleyle-Projektentwickler D-Quadrat und die Stadt haben für diesen Freitag ein Quartier-Fest organisiert, bei dem, analog zur Grundsteinlegung, ein symbolischer Schlussstein gesetzt wird. Zirka 40 Millionen Euro haben die Investoren in die Umgestaltung gepumpt. „Und jetzt ist alles fertig“, sagt Hans Schmid, ehemals Baubürgermeister der Stadt und heute einer von drei D-Quadrat-Geschäftsführern.

2013 kamen die ersten Bewohner, jetzt sind alle Wohnungen fertig

Die ersten Bewohner sind bereits 2013 eingezogen, die letzten Wohnungen wurden vor zwei Wochen übergeben, und die Eröffnung des sogenannten Boardinghauses in dieser Woche gilt als letzter Baustein des Quartiers. Es gebe zwar noch eine kleine Freifläche, erzählt Schmid. „Aber die wollen wir nicht mehr bebauen.“

56 Wohnungen, ein Hotel, Büros, Arztpraxen, Dienstleister, eine Kinderkrippe, Clubs und Restaurants, ein Studentenwohnheim, eine Dependance der Hochschule für Verwaltung und Finanzen mit Hörsälen, ein Parkhaus: man habe bei der Planung auf einen guten Mix geachtet, sagt Schmid. Derzeit werde mit einem weiteren Gastronomen verhandelt, der Interesse signalisiert habe, Flächen zu mieten. Den Namen nennt Schmid nicht, aber wie man hört, handelt es sich um den Betreiber der Il-Pomodoro-Pizzerien am Wilhelmsplatz und an der Silberburgstraße in Stuttgart.

Die Nähe zur MHP-Arena und zum Bahnhof, der 2009 mit viel Geld um das Westportal erweitert wurde, macht das Bleyle offenbar attraktiv für Mieter aller Art. Das Areal ist nach wie vor vollständig in Privatbesitz. Obwohl die Miete bei mindestens zehn Euro pro Quadratmeter und teilweise deutlich darüber liegt, sind alle Wohnungen vermietet. Das Studentenwohnheim, in dem das günstigste Zimmer mit 575 Euro pro Monat auch nicht wirklich billig ist, wird zum Semesterstart komplett ausgebaucht sein. Die Gewerbeflächen sind ebenfalls nahezu alle vergeben.

Die Stadt lobt den Mix aus historischer Bausubstanz und urbaner Architektur

Auf das zwei Hektar große Gelände, auf dem in Spitzenzeiten rund 3000 Bleyle-Beschäftigte arbeiteten, ist wieder Leben zurückgekehrt. 200 Arbeitsplätze sind dort entstanden. Alles Gründe, warum Werner Spec heute nahezu genauso euphorisch klingt wie sein Vorgänger vor einem Vierteljahrhundert. „Die Verantwortlichen haben es geschafft, historische Bausubstanz zu erhalten und perfekt mit moderner, urbaner Architektur zu verbinden“, sagt der OB. Die Gebiete westlich des Bahnhofs seien in den vergangenen Jahren – unter anderem mit der Arena und den benachbarten Gebäuden – deutlich aufgewertet worden. Das Bleyle-Areal habe diese Entwicklung überzeugend fortgesetzt.

Das Boardinghaus mit dem Namen Harbr (eine verkürzte Version des englischen Worts für Hafen) empfängt am Montag erstmals Gäste, betrieben wird es von D-Quadrat Living, einer Tochterfirma von D-Quadrat. Das Konzept ist zugeschnitten auf Menschen, die für einen längeren Zeitraum, aber nicht dauerhaft ein Apartment brauchen – etwa für internationale Mitarbeiter der in Ludwigsburg ansässigen Unternehmen. Anders als in Hotels verfügen die Zimmer über eigene Küchen.

D-Quadrat Living will mit der Marke von Ludwigsburg aus expandieren. Man habe bereits zwei Standorte in der Region Stuttgart für weitere Harbr-Häuser im Auge, sagt der Geschäftsführer Thomas Fülster. Die Hälfte der 44 Zimmer in Ludwigsburg ist von Anfang an belegt, und die Betten sind offenbar lang: Ein Zimmer haben die MHP-Riesen für Wes Washpun gebucht, der Basketballer wird die kommende Saison im Harbr wohnen.