Die gestrichelte Linie zeigt die Lage des neuen Stadtquartiers Herrenberg Süd. Foto: Stadt Herrenberg

Bei der Entwicklung des neuen Quartiers „Herrenberg Süd“ will die Stadt zum ersten Mal ein neues Verfahren einsetzen. Damit könnten Grundstücksbesitzer sogar zwangsenteignet werden.

Böblingen - Die Stadt Herrenberg (Kreis Böblingen) plant Großes. Nicht nur soll zwischen dem Längenholz, dem Alzental und der Ammertalbahn ein neues, 45 Hektar großes Stadtquartier namens „Herrenberg Süd“ entstehen. Darüber hinaus will die Stadt dabei auch in der Grundstückspolitik neue Wege gehen. Wenn es nach dem Oberbürgermeister Thomas Sprißler (Freie Wähler) geht, könnte dabei erstmals das Instrument der „städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme“, kurz SEM, eingesetzt werden. Damit könnten widerspenstige Grundstücksbesitzer letztlich sogar zwangsenteignet werden. Dieses Maßnahme ist im Kreis eher ungewöhnlich. In Böblingen beispielsweise ist eine SEM bisher noch nie eingesetzt worden. Bei der künftigen Stadtentwicklung solle aber geprüft werden, ob diese eventuell zum Einsatz kommen könne oder solle, sagt Fabian Strauch, der Sprecher der Stadt Böblingen.

Eines der Ziele einer SEM ist es, die Neuordnung der benötigten Flächen zu beschleunigen – dies ist einer der ersten Schritte hin zu einem neuen Stadtquartier. Bisher könnten solche Verfahren gut und gerne mal 20 Jahre dauern, selbst wenn es um deutlich kleinere Flächen gehe als jetzt in Herrenberg Süd mit 45 Hektar, sagt Rainer Stingel, der Leiter der Bauverwaltung. „Das ist eine hoch komplexe Geschichte. Ein einzelner Grundstücksbesitzer kann das ganze Baugebiet verhindern oder zumindest erheblich verzögern, wenn er eine Blockadehaltung einnimmt.“ Davon seien letztlich nicht nur die Verwaltung, sondern auch alle anderen Grundstücksbesitzer und die Bauinteressenten betroffen.

Kein Geld für die Stadtkasse

Im ersten Schritt wendet sich die Stadt nun an die rund 400 betroffenen Eigentümer der zurzeit noch hauptsächlich landwirtschaftlich genutzten Flächen, um sämtliche Grundstücke, auf die sich das neue Quartier erstrecken soll, zu kaufen. „Damit können wir dafür sorgen, dass die Entwicklung so stattfindet, wie die Bürgerschaft, der Gemeinderat und die Verwaltung es gemeinsam wünschen, statt so, wie es der Grundstücksmarkt hergibt“, erklärt der Erste Bürgermeister Tobias Meigel. Der Wert der Grundstücke werde dabei von einem neutralen Gutachter ermittelt.

Im Übrigen wolle sich die Stadt mit diesem Vorgehen nicht den eigenen Säckel füllen, indem sie die dabei erworbenen Grundstücke später möglichst zu einem höheren Preis an die künftigen Bauherren veräußere, versichert Sprißler. Das Geld, das nach dem Abzug der Kosten, die bei der Stadt angefallen sind, übrig bleibt, soll an die früheren Eigentümer ausgezahlt werden. „Es bleibt nicht in der Stadtkasse.“

Die Eigentümer der Äcker dürfen nach dem neuen Modell natürlich auch selbst dort bauen. „Die Interessen bauwilliger Eigentümer von Grundstücken im Entwicklungsbereich werden angemessen berücksichtigt“, verspricht Meigel.

Vorkaufsrecht im Gemeinderat

In den kommenden beiden Jahren ist eine vorbereitende Untersuchung geplant, um herauszufinden, ob sich Herrenberg Süd überhaupt für eine SEM eignet. Dazu müssen nämlich verschiedene fachliche und rechtliche Voraussetzungen erfüllt werden. Danach soll Bilanz gezogen werden. Habe sich die Stadt bis dahin bereits mit sämtlichen Eigentümern geeinigt, sei eine SEM gar nicht nötig. „Der Ankauf aller Grundstücke ist deshalb unsere oberste Priorität“, sagt der OB Thomas Sprißler. Um im anderen Fall aber „nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag dazusitzen“, könne die Stadt, wenn sie den Weg der SEM wählt, ihre Ziele auch rechtlich durchsetzen. „Weil damit das Gemeinwohl über den Privatnutzen gestellt wird, steht als allerletztes Mittel die Möglichkeit zur Verfügung, Grundstücke zugunsten der Gesamtmaßnahme gegen eine Entschädigung in der Höhe eines gutachterlich zu bestimmenden Wertes zu enteignen“, so Stingel.

Die ersten Schritte in Richtung einer SEM sollen im November unternommen werden, denn dann will die Verwaltung das Konzept im Gemeinderat vorstellen. Am 20. November könnte das Gremium per Satzung zunächst ein Vorkaufsrecht der Stadt beschließen, sodass sich diese die Grundstücke, die im Areal des geplanten Quartiers auf den Markt kommen, als Erste sichern kann.

Das Stadtquartier „Herrenberg Süd“

Fläche und Lage: Das neue Stadtquartier soll sich zwischen der Horber Straße im Westen, der Tübinger Straße im Osten, dem bestehenden Rand der Besiedlung im Norden und dem Gutleuthaustal im Süden erstrecken. Insgesamt bedeckt es eine Fläche von 45 Hektar.

Pläne: 16 Hektar der Gesamtfläche sind für Wohnbebauung eingeplant. Herrenberg Süd soll einmal 1600 bis 2000 Einwohnern ein Zuhause bieten. Außerdem sind einige Flächen für Gewerbeansiedlungen reserviert. Auch Erholungs- und Ausgleichsflächen sind vorgesehen. „Wir wollen ein innovatives Quartier, das sozialen und ökologischen Ansprüchen gerecht wird und das generationenübergreifende Wohnformen für alle bietet“, sagt der OB Sprißler. Wichtig sei eine soziale Durchmischung der Bewohner, bezahlbarer Wohnraum und eine Vielfalt an Wohnformen. Der Baubeginn ist noch unklar