Gesprächsrunde im neuen Spirituellen Zentrum Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Nach Umbau der Kirche St. Fidelis eröffnet am zweiten Advent das erste Spirituelle Zentrum der Katholischen Kirche in Baden-Württemberg. Doch das gefällt nicht jedem.

Stuttgart - Wer diese Kirche zum ersten Mal betritt, wird mit Sicherheit überrascht sein: Ein lichtdurchflutetes, fast federleicht anmutendes und auf seine ursprüngliche Formensprache reduziertes Kirchenschiff breitet sich vor dem Betrachter aus. Nichts Dunkles, Schweres, aber auch wenig Erhabenes. Dafür helle Offenheit und Leichtigkeit. Hier ist vieles ganz anders, als man es von anderen, zumal katholischen, Kirchen kennt. Der Altar, aus einem einzigen Travertinmonolithen geformt, steht nicht im Chor, sondern zentral im Mittelschiff.

Stuhlreihen um 90 Grad gedreht

Die Stuhlreihen für die Gläubigen sind um 90 Grad zum Altar hin gedreht, so dass sich die Gottesdienstbesucher gegenübersitzen. „Die Gemeinde wollte den Communio-Gedanken stärken“, erklärt der Stuttgarter Architekt Domenik Schleicher, der den Umbau der Kirche St. Fidelis in der Seidenstraße 39 verantwortet hat. Zwölf Monate lang wurde an der Kirche St. Fidelis, die 1925 im Übergangsstil von Historismus zur Neuen Sachlichkeit errichtet wurde, gebaut. Kosten der Umbaumaßnahme: rund 2,5 Millionen Euro.

Neuartig auch: Im Chorraum, wo früher der Altar stand, ragt nun ein hoher, aus hellem Holz gefertigter Binnenchor auf. Ein Raum, der sich durch Flügeltüren zum Kirchschiff hin öffnen, aber eben auch verschließen lässt. „Ein thermisch und akustisch abgetrennter Raum“, so der Architekt. „Ein Raum der Stille.“ Womit auch deutlich wird, dass es sich bei den Baumaßnahmen nicht in erster Linie um eine Renovierung handelt. Denn St. Fidelis wird in Zukunft Baden-Württembergs erstes Spirituelles Zentrum der katholischen Kirche sein, genannt: Station S. Vergleichbare Einrichtungen gibt es bislang nur in Hamburg, Frankfurt und Basel. Und auch dort wurde nicht eigens eine Kirche zum Spirituellen Zentrum umfunktioniert.

Neue experimentelle Wege

Mit der Einrichtung der Station S will die Diözese Rottenburg-Stuttgart neue, experimentelle Wege ausloten und damit auf die steigenden Kirchenaustritte und die sinkende Gottesdienstbeteiligung reagieren – inklusive spiritueller Angebote, die mit der katholischen Kirche üblicherweise nicht in Verbindung gebracht werden. „Wir müssen andere Wege gehen, um die Menschen in ihrer ungebrochenen Sehnsucht nach Spiritualität und Tiefe zu erreichen“, erklärt dazu Stadtdekan Christian Hermes. „Das kann nicht mehr der Seniorenkaffee von vor 20 Jahren sein.“ Die Station S stehe dabei grundsätzliche jedem offen. „Alle, die nach Sinn, Orientierung oder auch nach Gott suchen“, sagt Kirsten Kruger-Weiß.

Die Theologin leitet die Station S künftig zusammen mit Pfarrer Stefan Karbach. „Wir halten den Erfahrungsschatz aus 2000 Jahren Christentum bereit“, sagt Kruger-Weiß zum Programm des Spirituellen Zentrums. Kombiniert werden Kultur und Spiritualität, Yoga und Christentum oder Qigong und Gebet. Sonntagsgottesdienste werden bewusst nicht am Morgen, sondern abends um 19 Uhr gefeiert. „Wir suchen nach anderen Formen, die die Menschen in ihrer heutigen großstädtischen Lebenswelt ansprechen“, sagt Pfarrer Karbach. Dass die katholische Kirche neue Wege einschlägt, um Gläubige wieder stärker an sich zu binden, ist mit Blick auf die nackten Zahlen nachvollziehbar: Von den rund 140 000 Mitgliedern der katholischen Kirche in Stuttgart nehmen nur noch etwa 11 000 Gläubige regelmäßig am sonntäglichen Gottesdienst teil. Rund 92 Prozent gehen nicht mehr in die Kirche. „Dabei fühlen sich 80 Prozent aller Stuttgarter einem religiösen Bekenntnis zugehörig“, so Dekan Hermes. „Diese Menschen haben ein Bedürfnis, die Frage nach dem Sinn des Lebens für sich zu beantworten.“Dass nicht allen Katholiken den unorthodoxen Umbau der Kirche St. Fidelis und die Einrichtung eines Spirituellen Zentrums inklusive fernöstlicher Praktiken goutieren, verwundert indes ebenso wenig: Noch vor der offiziellen Eröffnung am zweiten Advent und der Altarweihe durch Bischof Gebhard Fürst machen die Kritiker auf der Facebook-Seite der Katholischen Kirche Stuttgart mobil: Von „So traurig, die Kirche so zu sehen“ bis „Das ist absolut Sünde“ finden sich dort neben viel Zuspruch zahlreiche kritische Kommentare.