Jahrzentelang nicht zu sehen: Dieses Ölgemälde von N. Gubal, entstanden um 1780, hing im Vorzimmer von Königin Katharina im Neuen Schloss. Seit Kriegsende lagerte es im Depot. Foto: factum/Granville

Die wertvollen Katharinenzimmer im Neuen Schloss in Stuttgart könnten wieder hergestellt werden. Überraschenderweise ist das Mobiliar großteils vorhanden. Diese Chance sollte man sich nicht entgehen lassen, findet Lokalchef Jan Sellner.

Stuttgart - Es ist eine erstaunliche Geschichte: Ein Land, sagen wir Baden-Württemberg, besitzt einen beträchtlichen Schatz, sagen wir Mobiliar des 1944 zerstörten und von 1957 an wieder aufgebauten Neuen Schlosses in Stuttgart. Allerdings ist es sich dessen nicht bewusst. Es schenkt dem Schatz kaum Beachtung. Vergleichbar dem Besitzer einer Kunsthalle, der vergisst, seine Bilder auszustellen. Tatsächlich ist die „gute Stube“ des Landes, wie das Neue Schloss im Regierungsjargon heißt, ziemlich kärglich ausgestattet.

Zugunsten des Landes sei gesagt, dass es gerade dabei ist, diesen Schatz wiederzuentdecken. Den Anlass dafür geben Pläne, das Herzstück des Neuen Schlosses – den Mitteltrakt – für die Allgemeinheit zu öffnen und im Zuge dessen einzelne Räume zu rekonstruieren. Die Voraussetzungen dafür sind vorhanden. Das haben Fachleute der Staatlichen Schlösser und Gärten herausgefunden. Ihre Entdeckungen sind aufsehenerregend: Unter den rund 2000 erhaltenen Gegenständen aus dem Neuen Schloss befindet sich kostbarstes Mobiliar aus dem Besitz der Zarentochter Katharina, der Frau des württembergischen Königs Wilhelm I., der die Grabkapelle auf dem Württemberg gewidmet ist. Verglichen mit Katharinas imperialen Möbeln stammen die ihres Gatten – salopp gesagt – aus einem gehobenen Einrichtungshaus.

Mit dem Inventar verbindet sich eine spannende Geschichte

Vieles davon schlummert seit Jahrzehnten in Depots des Landes und im Ludwigsburger Schloss. Jetzt besteht Hoffnung, dass der Dornröschenschlaf des Möbelschatzes endet. Eine Teilmöblierung des Neuen Schlosses, insbesondere die Wiederherstellung der Katharinenzimmer, ist wünschenswert. Schon aus kunsthistorischen und stadtgeschichtlichen Gründen. Der frühere Charakter Stuttgarts als Residenzstadt träte im öffentlichen Bewusstsein stärker hervor. Auch touristisch wäre ein aufgemöbeltes Neues Schloss ein Gewinn.

Noch dazu verbindet sich mit dem Inventar eine spannende Geschichte. Sie beginnt damit, dass Katharina ausgewählte Stücke von St. Petersburg nach Stuttgart bringen ließ, und führt zu Werner Fleischhauer, dem früheren Museumschef, dem der Erhalt der Möbel wesentlich zu verdanken ist, weil er während der Bombardierung Stuttgarts nichts unversucht ließ, dieses Erbe zu retten – ein Glücksfall inmitten von Tod, Not und Zerstörung. Diese Gesamtgeschichte sollte im Neuen Schloss anschaulich und souverän erzählt werden – nicht um der Monarchie zu huldigen, sondern um Stuttgart zu bereichern.

jan.sellner@stzn.de