Staatsaufgabe: Was strafbar ist und was nicht, entscheidet seit Jahresbeginn Facebook Foto: dpa

Das Gesetz gegen Hass im Internet, seit Januar in Kraft, geht nach hinten los, meint unser Kommentator Rainer Wehaus. Der Schutz der Meinungsfreiheit sei nun in den Händen privater Firmen.

Stuttgart - Freiheit sei immer Freiheit des Andersdenkenden, hat die berühmte Kommunistin Rosa Luxemburg mal geschrieben. Und zwar „weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die ‚Freiheit’ zum Privilegium wird“. Heute, fast 100 Jahre später, wird wieder über Freiheit diskutiert. Seit 1. Januar ist nämlich ein Gesetz in Kraft, dass die Meinungsfreiheit im Internet beschneidet. Das war von der Großen Koalition zwar so nicht gewollt, wie sie beteuert. Aber es wurde irgendwie doch billigend in Kauf genommen.

Im Zweifel wird gelöscht

Das Gesetz heißt Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Mit ihm soll im Internet durchgesetzt werden, was bereits geltendes Recht ist: Beleidigungen und Volksverhetzung sind nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt, sondern strafbar. Seit 1. Januar haben Internetplattformen wie Twitter und Facebook nur noch 24 Stunden Zeit, solche Beiträge zu löschen. Da andernfalls horrende Bußgelder drohen, wird im Zweifel gelöscht. Justizminister Heiko Maas (SPD) hatte es jahrelang im Guten versucht, dann bastelte er noch schnell dieses Gesetz. Die Auswirkungen sind fatal.

Ermunterung für autoritäre Staaten

Bei Twitter und Facebook müssen überforderte und juristisch allenfalls angelernte Mitarbeiter nun zum Teil innerhalb von Sekunden entscheiden, ob ein veröffentlichter Beitrag strafbar ist oder nicht. Damit geht der Schutz eines der wichtigsten Grundrechte der Bundesrepublik in private Hände über. „Eine Zensur findet nicht statt“, heißt es in Artikel 5 des Grundgesetzes. Seit Anfang des Jahres gilt nun wieder: Eine Zensur findet statt. Angeblich fühlen sich autoritäre Staaten wie Rußland durch das deutsche Gesetz ermuntert, ähnliche Schritte zu unternehmen. Es würde einen nicht wundern.

Hauptsache mal ein Verbot

Quer durch fast alle Parteien wird das Gesetz nun kritisiert. Das verwundert ein bisschen. Als das Gesetz Ende Juni letzten Jahres vom Bundestag beschlossen wurde, stimmte nur die Linkspartei dagegen. Anwesend waren übrigens gerade mal rund 60 Abgeordete. Es war der letzte Sitzungstag der Legislaturperiode, die meisten Abgeordneten waren offenbar nicht nur gedanklich bereits im Wahlkampf. Zwar hatte das Parlament zuvor noch hektisch versucht, den Gesetzentwurf zu verbessern. Unterm Strich aber ist die Verabschiedung des Gesetzes kein Ruhmesblatt für den Bundestag. Hauptsache mal ein Verbot – nach der Devise wurde offenbar gehandelt.

Steilvorlage für Denunzianten

Ein Verbot macht aber nur Sinn, wenn der Staat es auch umsetzen kann. Dieses Gesetz aber überantwortet die Umsetzung den sozialen Plattformen im Internet. Nichts spricht dagegen, Internetriesen wie Facebook stärker in die Pflicht zu nehmen. Dass es dort nun Ansprechpartner bei Verdachtsfällen gibt, ist gut und richtig. Aber die endgültige und selbst die vorläufige Entscheidung darüber, ob ein Meinungsbeitrag aus dem Internet verschwinden muss, hat bei einer staatlichen Stelle zu liegen. In seiner momentanen Fassung ist das Gesetz eine Steilvorlage für Denunzianten: Jeder kann irgendeinen Beitrag melden. Die Chancen, dass er im Zweifelsfall gelöscht wird, sind groß.

Schrille Töne

Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein. Aber es spiegelt oft nur wider, was in der realen Welt vor sich geht. Wer weniger Hass im Internet will, sollte das als Politiker auch vorleben. Heiko Maas hat als Justizminister allzu sehr den Eindruck erweckt, dass er mit dem Gesetz vor allem auf rechte Meinungen im Internet zielt und diese unterdrücken will. Bei einer Korrektur des Gesetzes – und nicht nur da – wären etwas weniger schrille Töne von Seiten der Politik angebracht.

rainer.wehaus@stuttgarter-nachrichten.de