Der Blick nach Leonberg offenbart einen holprigen amtlichen Umgang mit der Rotlichtbranche. Ein geschlossenes Bordell hat kurzerhand wieder eröffnet. Foto: plainpicture

Die einen sprechen von mafiaähnlichen Verhältnissen, die anderen sagen: Meist alles legal. Die Wahrnehmung von Sozialarbeitern und Polizisten unterscheidet sich stark.

Böblingen - Die Polizei gibt sich in puncto Prostitution selbstsicher. „Rechtswidrige Zustände werden konsequent verfolgt und beseitigt“, sagt ihr Pressesprecher Peter Widenhorn und verweist beispielhaft auf Leonberg. Alle fünf Bordelle der Stadt sind geschlossen worden. Die Betriebe erfüllten die Bauvorschriften des neuen Prostitutionsgesetzes nicht. Verstöße gegen einschlägige Straftatbestände – Zuhälterei, Menschenhandel, Zwangsprostitution – seien hingegen rar, sagt Widenhorn: „Im Kreis Böblingen ist für 2017 nur ein Fall von Menschenhandel registriert.“

Weniger optimistisch liest sich ein neuer Bericht des Landratsamts zur Rotlichtbranche. Er ist gespickt mit Sätzen wie: „Die Frauen sind psychischer oder körperlicher Gewalt durch Zuhälter ausgesetzt.“ Die Behörde erkennt „mafiaähnliche Strukturen“, listet häusliche wie sexuelle Gewalt auf, Essstörungen, Drogen- wie Medikamentensucht als Folge der seelischen Belastungen. Laut der Polizei schaffen im Kreis Böblingen 200 bis 250 Frauen an, sie wechseln regelmäßig.

Ein Fall von Menschenhandel hatte für eine 19-jährige Frau üble Folgen

Der erwähnte Fall von Menschenhandel hatte für eine damals 19-jährige Frau üble Folgen. Sie wurde zusammengeschlagen und vergewaltigt, mehrfach. Das Geld, das sie im Bordell verdiente, kassierte ein Zuhälter. Allerdings war der Tatort Fellbach im Rems-Murr-Kreis, das Bordell eines im Saarland und der Täter nicht der Mann, der im Februar in Böblingen wegen Menschenhandels zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde. Seine Beteiligung beschränkte sich darauf, die 19-Jährige gefragt zu haben, ob sie als Prostituierte ihre Geldnot beenden wolle. Er kenne jemanden aus der Branche. Nach Tagen des Zögerns sagte die junge Frau zu.

Dass die Aussagen von Polizisten und Sozialarbeitern zur Prostitution schwer in Einklang zu bringen sind, ist auch andernorts üblich. Einen holprigen amtlichen Umgang mit der Branche belegt auch der Blick nach Leonberg. Dort hat eines der geschlossenen Bordelle wieder eröffnet, widerrechtlich, wenn auch im Kleinstmaßstab. Zwei Dominas bieten an der Adresse ihre Dienste an. Der Fall sei bekannt, lässt der Bürgermeister Ulrich Vonderheide wissen: „Wir prüfen den Sachverhalt und werden entsprechend der rechtlichen Möglichkeiten reagieren.“

Im Kreis Böblingen ist die Bordellbranche erst mit dem neuen Prostitutionsgesetz ins behördliche Blickfeld gerückt. Seit dem Jahreswechsel ist das Gesetz in Kraft, das den Betreibern wie ihren Betrieben weitaus strengere Regeln auferlegt als zuvor. Die Frauen müssen sich in jeder Stadt neuerlich anmelden, bevor sie ihre Sexarbeit beginnen. Das Ziel dieser Vorschrift ist die Beratung, rechtliche, gesundheitliche oder auch die zum Ausstieg aus der Branche. Ein Nebeneffekt ist die Hoffnung, auf Gesetzesverstöße hingewiesen zu werden.

Keine Prostituierte erklärt sich selbst zum Opfer von Straftaten

Jener dramatische Bericht des Landratsamts ist gleichsam ein zusammengefasstes Protokoll solcher Gespräche. Verfasst haben ihn das Gesundheits-, Ordnungs-, das Sozialamt und die Frauenbeauftragte gemeinsam. Dies auch mit dem Ziel, dass der Kreistag beschließen möge, eine außeramtliche Anlaufstelle für die Frauen zu finanzieren. Aufgelistet sind Vorbilder aus Frankfurt, Freiburg, Mannheim und Stuttgart. Die Landeshauptstadt etwa betreibt ein Café für weibliche und eines für männliche Prostituierte. Deren Leiterin Sabine Constabel ist als Interviewpartnerin bundesweit bekannt. Die Einrichtung einer kreiseigenen Beratungsstelle ist bisher nicht über lose Gespräche hinausgekommen.

Aus den Amtsgesprächen mit Prostituierten hatte kein einziger Hinweis auf Misshandlung oder Menschenhandel eine Strafanzeige zur Folge – obwohl sich die Polizei mit den beteiligten Ämtern regelmäßig zu Gesprächen trifft. Zu vage seien die Aussagen der Frauen gewesen, sagt Dennis Ritter, der Pressesprecher des Landratsamts. „Keine hat eine Zwangslage für sich angegeben, es werden immer nur andere aufgeführt.“ Und zwar, ohne dass Namen genannt wurden. Gewiss ist hingegen, dass die Polizei regelmäßig für Kontrollen in den Rotlichtbetrieben zu Gast ist, wie Widenhorn reklamiert, und zwar „in dauerhaft hoher Dichte“.