Eine Unsitte – und meist auch eine Straftat: Gaffer beim Fotografieren eines Unfalls. Foto: 177311364

Die Landesregierung in Baden-Württemberg macht über den Bundesrat Druck, damit Berlin eine Lücke im Strafgesetzbuch schließt.

Stuttgart - Weil Gaffer nicht davor zurückschrecken, Unfalltote zu filmen und zu posten, dringen die Länder seit einem Jahr auf eine Gesetzesverschärfung. Auch Baden-Württembergs Regierung hält es für geboten, das Fotografieren von Toten unter Strafe zu stellen, ist aber ungehalten darüber, dass der Bundesrat mit seinem Vorstoß noch immer nicht am Ziel ist: „Ich habe kein Verständnis dafür, dass es auf Bundesebene bei diesem Thema seit mehr als einem Jahr nicht vorangeht“, sagte Landesjustizminister Guido Wolf unserer Zeitung.

Die Landesregierung will deshalb Druck auf Bundesregierung und Bundestag machen und in einer ihrer nächsten Sitzungen einen Entschließungsantrag für die Länderkammer verabschieden. „Wir bringen Bewegung in die Sache“, sagte Innenminister Thomas Strobl (CDU). Mit der Initiative wolle man den Druck auf den Bund erhöhen, sich „unverzüglich“ mit dem Vorhaben zu befassen.

Der Vorstoß steckt fest

Angestoßen hatte die Sache vor mehr als einem Jahr das Land Niedersachsen, nachdem die Polizei vermehrt von tödlichen Verkehrsunfällen berichtete, bei denen Gaffer mit ihrem Handy Tote fotografierten. Strafbar ist das – sofern Polizei und Rettungskräfte nicht behindert werden – bislang nicht: „Die 2015 erfolgte Gesetzesänderung schützt bislang nur lebende Personen“, sagt Wolf mit Blick auf das sogenannte Gaffer-Gesetz, das Bildaufnahmen verbietet, „ die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt“. Von Verstorbenen ist dort nicht die Rede.

Wie oft es vorkommt, dass Schaulustige das Smartphone zücken, um Tote zu filmen, lässt sich zwar statistisch nicht konkret fassen. Die Rückmeldung der Polizei zeige jedoch, dass dies „kein nur theoretisches Problem sei“, heißt es im Justiz- und Innenministerium. „Wer Tote bei einem Unglück oder Unfall filmt oder fotografiert, der gehört bestraft. Das steht moralisch auf unterster Stufe und darf unsere Gesellschaft nicht durchgehen lassen“, sagt Wolf. Der strafrechtliche Schutz gegen solche Praktiken sei lückenhaft.

Ministerium plant eigenen Entwurf

Doch warum blieb der Vorstoß bisher stecken? Grundsätzliche Bedenken gibt es jedenfalls keine. „Die Bundesregierung unterstützt das Anliegen des Gesetzentwurfs, den strafrechtlichen Schutz gegen die Herstellung und Verbreitung bloßstellender Bildaufnahmen von verstorbenen Personen zu verbessern“, heißt es in der Stellungnahme zu dem Vorstoß des Bundesrats. Schließlich hätten dies CDU, CSU und SPD auch in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart.

Es gehe vielmehr um die Frage, wie man das Anliegen „rechtstechnisch“ am besten umsetze, heißt es im Bundesjustizministerium. Ein Sprecher sagte, im Ministerium werde derzeit ein eigener Gesetzentwurf vorbereitet, man folge also nicht dem Entwurf der Länderkammer. Worin die Unterschiede bestehen, lasse sich derzeit allerdings noch nicht sagen. Der Bundestag werde sich aber „sicherlich noch in diesem Jahr“ mit dem Thema befassen.

Ungeduld in Stuttgart

In der Landesregierung vermutet man auch koalitionsinterne Rangeleien um die Themen-Priorität als Ursache für die Verzögerung. Vorstöße des Bundesrats stünden ohnehin in Konkurrenz zu Reformwünschen von Regierung und Parlament. Soll heißen: Die Länder müssen sich hinten anstellen.

Deshalb will Baden-Württemberg nun mehr Druck aufbauen: „Maßgebliche Schritte auf dem Weg zu einer abschließenden Behandlung durch den Bundestag sind bisher nicht zu erkennen“, heißt es in dem Entschließungsantrag, der unserer Zeitung vorliegt. „Bundestag und Bundesregierung müssen hier endlich tätig werden“, fordert Landesinnenminister Thomas Strobl.

Im Sommer 2015 sorgte ein Fall bundesweit für Entsetzen, als drei Männer die Opfer eines tödlichen Unfalls – ein Auto war frontal in eine Eisdiele gerast – im abgesperrten Bereich filmten und dabei Polizei und Rettungskräfte behinderten. Einer von ihnen wurde später zu vier Monaten Haft verurteilt, weil er sich mit körperlicher Gewalt gegen einen Platzverweis gewehrt hatte. Niedersachsen brachte daraufhin den Entwurf eines „Gaffer-Gesetzes“ in den Bundesrat ein.

Das zielte jedoch nicht darauf, das Persönlichkeitsrecht von Verstorbenen zu schützen. Dies soll sich jetzt ändern.