IBM nutzt die künstliche Intelligenz des eigenen Supercomputers Watson, um Produkte und Fabriken zu vernetzen. Foto: dpa

Computerintelligenz soll digitale Daten aus Autos, Kugellagern oder Maschinen vernetzten. In die Tat umsetzen will der US-Technologiekonzern IBM das im globalen Maßstab von Bayern aus. Dafür investiert das Unternehmen kräftig. Ein Partner ist der Zulieferer Schaeffler.

München - Das Internet der Dinge, hier zu Lande auch unter dem Schlagwort Industrie 4.0 bekannt, wird oft als vierte industrielle Revolution bezeichnet. Insofern macht der IT-Riese IBM aus den USA gerade einen revolutionären Schritt: Sein weltweites Entwicklungszentrum für das Internet der Dinge siedelt der US-Konzern nicht etwa in seinem Heimatland sondern in München an und investiert dafür rund 180 Millionen Euro. „Deutschland steht an der Spitze der Industrie 4.0-Initiative“, erklärt IBM-Managerin Harriet Green. Sie ist im Haus für die Digitalisierung von Produkten, Fabriken und ganzer Industrien zuständig, wozu IBM die künstliche Intelligenz des eigenen Supercomputers Watson nutzt. Das neue Entwicklungszentrum wird den Namen „Watson IoT“ (Internet of Things) tragen.

In so unterschiedlichen IBM-Abnehmerbranchen wie Autoindustrie, Versicherungen oder Gesundheitswesen liefern heute Sensoren millionenfach Daten in digitaler Form an, die auf ihre intelligente Verknüpfung mittels Software und Computerintelligenz warten. Fabriken könnten so konzernweit oder sogar unter Einschluss von Zulieferern vernetzt werden und effizienter produzieren. Mechanische Bauteile in Produktionsanlagen, Autos oder Windrädern könnten elektronisch melden, wann sie auszufallen drohen und ihre eigene Reparatur in Auftrag geben, bevor ein Schaden größere Ausfallzeiten verursacht.

In München residieren Kunden und Forschungseinrichtungen

München hat der hier zu Lande eigentlich in Ehningen (Landkreis Böblingen) residierende IBM-Konzern als Entwicklungszentrale gewählt, weil in der bayerischen Landeshauptstadt nicht nur ungewöhnlich viele Abnehmerbranchen und potenzielle Kunden residieren. In München gibt es auch hochrangige Forschungseinrichtungen wie die TU München oder das Fraunhofer-Institut, Europas größte Ideenschmiede für angewandte Forschung. Insofern soll aus der neuen Münchner Entwicklungszentrale eine viele Partner und gemeinsame Forschungsteams umfassende Brutstätte für Innovationen werden, wie IBM-Digitalchefin Green sich ausdrückt.

Als Vorzeigepartner, der eine Art Blaupause für das mit Industriekunden Mögliche liefern soll, ist IBM eine strategische Partnerschaft mit dem Industrie- und Kfz-Zulieferer Schaeffler eingegangen. Der fränkische Familienbetrieb ist als solcher einer der größten seiner Art mit einer ausgesprochenen Stärke bei mechanischen Komponenten wie Wälzlagern oder Kupplungen. Sensoren, Software und Watson sollen solche Produkte per Datenverknüpfung künftig digitalisieren und intelligent machen. Schaeffler-Digitalchef Gerhard Baum nennt Beispiele. So fertigen die Franken große Lager für Windkraftanlagen. In digitaler Verbindung von Wetterprognosen mit Verschleißzeiten können Komponenten gezielt bei Windflauten getauscht werden, was Energieverluste minimiert. Intelligente Lager in Zügen, die ihre Temperatur und Drehzahl in Echtzeit messen, erkennen Materialermüdung und ermöglichen so vorausschauende Instandhaltung.

Mit Hilfe des Supercomputers Watson und IBM will Schaeffler aber auch in der eigenen Fertigung werks- und länderübergreifend ein digitales Unternehmen werden. Ab sofort speisen die Franken alle internen Daten in eine eigene Schaeffler-Datenwolke, wo IBM-Computerintelligenz für ihre Verknüpfung sorgt. Das soll die Effizienz von Schaeffler um ein sattes Viertel steigern. Solche Effizienzpotenziale zwingen so gut wie alle Industrien zu Digitalisierung. Zu groß und uneinholbar wären die Effizienzvorsprünge von Konkurrenten, überließe man ihnen die Entwicklung.

IT- und Softwarekonzerne treiben die Entwicklung voran

Getrieben wird sie einerseits von IT-Konzernen wie IBM, andererseits aber auch von softwarebetonten Industriekonzernen wie Siemens. Während IT-Spezialisten wie IBM dabei ein Gespür für Fertigung und Produkte aller Art entwickeln müssen, brauchen Industrieriesen wie Siemens ein besseres Verständnis für Software und künstliche Intelligenz. Welche beider Welten die andere besser versteht und dadurch das Rennen in der Industrie 4.0 macht, ist noch offen. IBM hat allerdings das klare Ziel, globaler Marktführer im Internet der Dinge zu werden.

Die Münchner Entwicklungszentrale ist ein wichtiger Pfeiler dieser Strategie, in die der Konzern global 2,7 Milliarden Euro investiert. Welche Dynamik in diesem Markt steckt, zeigt eine andere Zahl. Vor acht Monaten haben weltweit 4000 IBM-Kunden mit Watson-Intelligenz gearbeitet. Aktuell ist es mit 6000 Anwendern für digitale Dienste und Lösungen auf Basis von Computerintelligenz schon die Hälfte mehr. Entsprechend expandiert der Münchner Standort. Heute arbeiten dort rund 100 Spezialisten, das Zehnfache soll es einmal sein. Sie sollen digitale Ökosysteme mit IBM-Kunden bilden und die Möglichkeiten bei Industrie 4.0 ausloten. Bei den einzelnen Projekten sollen auch die Zulieferer der IBM-Kunden mit ins Boot kommen oder sogar deren Konkurrenten. Noch herrscht große Scheu, mit Rivalen Wissen zu teilen. Aber die Aussicht, durch Vorzeigeprojekte internationale Standards für Industrie 4.0 zu setzen, könnte das ändern.