Eine Mischung aus Tradition und Moderne: Die neuen Räume der Bäckerei sind einladend. Foto: Simon Granville

Steffen Marquardt und Anabel Hirsch besinnen sich auf die Ursprünge des Familienbetriebes: In der Eltinger Carl-Schmincke-Straße gibt es jetzt mehr als Brot und Brezeln.

Es sind schwere Gedanken, die Steffen Marquardt am Anfang des vergangenen Jahres durch den Kopf gehen. Der Bäckermeister fühlt sich müde. Das jahrelange Arbeiten quasi rund um die Uhr, ohne jeden Ruhetag, haben den damals 52-Jährigen ausgelaugt. Mit seiner kleinen Bäckerei im Leonberger Stadtteil Eltingen muss er sich gegen Backshops und die Dumpingpreise bei den Discountern behaupten. Das geht an die Substanz.

 

Steffen Marquardt denkt ernsthaft ans Aufhören. Die Geschäftsräume in der pittoresken aber nicht gerade belebten Carl-Schmincke-Straße könnte er verpachten. Doch kann und will er wirklich eine 145-jährige Familientradition beenden? Den alteingesessenen Namen, der für Qualität und Heimatverbundenheit steht, einfach verschwinden lassen?

In dieser schwierigen Phase kommt ihm das Schicksal, vielleicht auch der liebe Gott zur Hilfe. Denn bereits beim Maibaum-Aufstellen 2024 lernt er im Schatten der Michaelskirche Anabel Hirsch kennen. Beide finden sich auf Anhieb sympathisch, beide haben keine einfachen Zeiten hinter sich. Beide stellen fest, dass Gemeinsamkeit die Chance auf ein besseres Leben eröffnet.

Der „Baker-Man“ von der Bäckerei Marquardt und die Öffentlichkeitsarbeiterin

Doch der Alltag des frisch verliebten Paares ist nicht einfach. „Wenn er aufgestanden ist, bin ich ins Bett gegangen“, erinnert sich Anabel Hirsch. „Wir haben uns kaum gesehen.“ Die neue Frau im Leben des Mannes, den in Eltingen die meisten den „Baker-Man“ nennen, will das ändern. Sie hat reichlich Berufserfahrung in der Öffentlichkeitsarbeit und in der Quartiersarbeit. Sie weiß wie wichtig Kontakte und persönliche Ansprache sind.

... und rein in den Backofen! Foto: Granville

Sie macht ihrem Partner den entscheidenden Vorschlag: Lass uns doch aus der klassischen Bäckerei einen Ort der Begegnung machen! Einen Platz, an dem natürlich gutes Brot, Brötchen oder Brezeln eine wichtige Rolle spielen, in dem man aber auch einen Kaffee oder ein Viertele trinken kann, so wie es in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts der Fall war.

Feierabendbier im „Goldenen Adler“: Marquardt greift Tradition auf

Damals, am 21. März 1879, bekommen die jungen Eheleute Gottlieb Marquardt aus Höfingen und seine Frau Wilhelmine Pauline aus Renningen die Konzession zur Führung des Gasthauses „Zum Goldenen Adler“. Hier, in der Carl-Schmincke-Straße, trifft man sich sonntags nach dem Kirchgang oder abends auf ein Feierabendbier.

Es ist ein Geschäftsmodell, das lange erfolgreich ist. 1930 übernehmen Wilhelm und Alice Marquardt die Bäckerei und Gastwirtschaft, renovieren rundum und bauen ein Ladengeschäft an. Im aufkommenden Wirtschaftswunder in der Nachkriegszeit eröffnet die Familie 1957 das Restaurant und Café Marquardt.

An guten Tagen bei Marquardt bis zu 800 Brezeln verkauft

Acht Jahre später übernehmen Franziska und Horst Marquardt, sie investieren in einen neuen Backofen und moderne Maschinen. Der Vater von Steffen will sich allerdings auf das Back- und Konditoren-Handwerk konzentrieren und schließt 1978 Café und Restaurant. Zum 100-jährigen Bestehen 1979 wird das Geschäft erheblich vergrößert und die Außenfassade erneuert. Der Laden brummt: An guten Tagen gehen bis zu 800 Brezeln über die Theke.

Im Jahr 2007 führt Steffen Marquardt den Familienbetrieb in die vierte Generation. Er versteht sich gleichsam als Botschafter seiner Zunft. Regelmäßig sind Schulklassen und Kindergärten bei ihm zu Gast. Doch der Wandel auch in der Lebensmittelbranche hinterlässt Spuren beim jungen Bäckermeister. Hat der Betrieb noch eine Chance?

Steffen Marquardt und Anabel Hirsch agieren in der Backstube. Foto: Simon Granville

Er hat: Gemeinsam mit seiner Partnerin hat sich Marquardt jetzt auf die Ursprünge besonnen. „Den Geist des ,Goldenen Adlers’ möchten wir aufgreifen“, sagt Anabel Hirsch, die in den vergangenen zwölf Monaten gemeinsam mit ihrem Steffen mehr oder minder rund um die Uhr gearbeitet hat, um den Traum eines neuen Treffpunkts zur Wirklichkeit werden zu lassen.

Das neue Bistro soll eine Anlaufstelle für alle sein

„Wer zu uns kommt, kennt wenigstens eine Person, und zwar die hinter der Theke“, meint die Kommunikationsexpertin. Will sagen: Die Bäckerei, und das ist sie noch immer, soll eine offene Anlaufstelle für alle sein. Es gibt leckere Kleinigkeiten zu essen, vom Strammen Max bis zum Wurstsalat. Dafür hat der Laden von 7 bis 7 durchgehend geöffnet, sonntags bis 16 Uhr.

Eine Auszeit gönnen sich Anabel Hirsch und Steffen Marquardt aber doch: Montags bis mittwochs bleibt das frisch renovierte Bäckerei-Bistro geschlossen. „Das ist unsere Art von Wochenende“, sagt die Chefin. „Montags machen wir das, was andere samstags machen: einkaufen und organisieren. Dienstags haben wir dann wirklich frei, mittwochs gehen schon die Vorbereitungen in der Backstube los.“ Denn das Backen ist nach wie vor Chefsache.

Ein großes Fest zur Eröffnung in der Bäckerei Marquardt

Mit einem großen Fest mit Livemusik eröffnet am Freitag, 19. September, das engagierte Paar den von einem Raumplaner vom Chiemsee neu gestalteten Laden mit Bistro. Und zwar im Rahmen der langen Einkaufsnacht der Werbegemeinschaft „Wir sind Eltingen“. Die Gäste sitzen auf Stühlen aus dem Café der Sechziger Jahre. Nur auf den Esel müssen sie noch ein paar Tage warten: Das Bild mit dem Symboltier des Stadtteils ist noch nicht ganz fertig. Bei Zwiebelkuchen und Federweißen werden die Premierengäste das sicher verschmerzen.