Behinderte müssen auf neues Gesetz warten Foto: dpa

Das neue Behindertengesetz soll zum 1. Januar 2015 in Kraft treten. Doch neuer Streit zwischen Grünen und SPD könnte verhindern, dass es rechtzeitig verabschiedet wird.

Stuttgart - Brauchen die Kreise hauptamtliche Behindertenbeauftragte oder können auch ehrenamtliche Kräfte diese Aufgabe übernehmen. Darüber gehen die Meinungen in der Regierung auf einmal auseinander. Eigentlich sollte das Kabinett am Dienst den Entwurf für das neue Behindertengesetz verabschieden und zur Anhörung freigeben. Doch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ließ am Montagabend das Thema überraschend von der Tagesordnung streichen. Die Vorlage sei noch nicht beschlussreif, sagte er am Dienstag in Stuttgart.

Der Gesetzentwurf von Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) sieht vor, dass die neun Stadtkreise und die 35 Landkreise spätestens von 2017 an hauptamtliche Behindertenbeauftragte einsetzen. Er wolle prüfen lassen, ob auch ehrenamtliche Kräfte diese Aufgabe übernehmen könnten, sagte Kretschmann. Vermutungen, dass die Kreise Druck auf die Landesregierung gemacht haben könnten, wies er zurück. „Die Entscheidung liegt bei mir, niemand hat interveniert.“ Es gebe auch keinen Koalitionsstreit mit der SPD.

In den Reihen des kleineren Koalitionspartners sieht man das ganz anders. Kretschmann wolle der SPD eine Retourkutsche verpassen, weil Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) im Mai zur Überraschung der Grünen vorgeschlagen hatten, schon 2016 keine neuen Schulden mehr zu machen und nicht erst 2020, heißt es parteiintern. Im Sozialministerium ist die Verärgerung ebenfalls groß. „Die Entscheidung war mit allen Betroffenen, auch dem Staatsministerium, abgestimmt“, sagte Ministeriumssprecher Helmut Zorell. Mit dem geplanten Gesetz hätte Baden-Württemberg bundesweit ein Zeichen gesetzt, weil es bisher kaum hauptamtliche Behindertenbeauftragte gebe. Es soll die Teilhabemöglichkeiten von Behinderten in allen Bereichen verbessern.

Mit seiner Entscheidung geht Kretschmann auch über die Grünen-Fraktion hinweg. Deren Arbeitskreis Soziales hatte sogar darauf gedrängt, die Übergangsfrist von fünf auf zwei Jahre zu verkürzen.

Die FDP bezeichnete Kretschmanns Vorgehen als „schallende Ohrfeige“ für die SPD und Ministerin Altpeter. Die Entscheidung sei jedoch zu begrüßen, sagte ihr sozialpolitischer Sprecher Jochen Haußmann. „Ministerpräsident Kretschmann ist für seine Vollbremsung erster Güte zu loben. Denn es ist richtig, den Kommunen nicht noch mehr Bürokratie aufzubürden.“

Der Landkreistag hat nichts gegen hauptamtliche Interessenvertreter, schließt aber gut funktionierende ehrenamtliche Lösungen nicht aus. Der Städtetag hatte dem Gesetz unter der Voraussetzung zugestimmt, dass das Land die entstehenden Kosten übernimmt. Das Land will den Kreisen dafür 2,8 Millionen Euro jährlich zahlen.