Blütensuche auf der Wiese. Foto: Gottfried Stoppel

Die Naturparkführerinnen Petra Klinger und Andrea Schad haben sich bei der Alzheimer Gesellschaft zu „Demenzbotschafterinnen Natur“ weitergebildet. Was bieten sie an?

Wiesensalbei, Hahnenfuß, Flockenblume – Petra Klinger steht auf einer sonnigen Wiese am Ortseingang von Rettersburg (Rems-Murr-Kreis) und nennt die Namen der Wildblumen, die ihre Gäste sammeln und zu ihr bringen. Obendrein gibt sie wissenswerte Infos zu den einzelnen Pflanzen: Die zerquetschten Blätter des Spitzwegerichs lindern den Juckreiz bei Insektenstichen. Schafgarbe hilft, wenn es im Bauch zwickt und zwackt. Der dunkelblau blühende Natternkopf ist ein Favorit von vielen Wildbienenarten.

 

Dass Petra Klinger so genau Bescheid weiß, kommt nicht von ungefähr: Seit mehr als zehn Jahren ist sie als Naturparkführerin mit Besuchern im Schwäbisch-Fränkischen Wald unterwegs. Da gehören Pflanzenkenntnisse mit dazu. Gemeinsam mit ihrer Schwester Andrea Schad, die sich seit rund zwei Jahren ebenfalls als Naturparkführerin betätigt, hat sie im Herbst vergangenen Jahres eine erstmals von der Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg organisierte Schulung besucht. Nun bieten die Schwestern auch Aktionen in der Natur an, die speziell für Menschen mit Demenz geeignet sind – als „Demenzbotschafterinnen Natur“ der Alzheimer Gesellschaft.

Insgesamt 20 dieser speziell geschulten Naturvermittler gebe es bislang in Baden-Württemberg, erzählt Saskia Gladis von der Alzheimer Gesellschaft: „Jetzt läuft die Erprobungsphase, in der wir testen, welche Angebote funktionieren und welche nicht.“ Die Schulung sei für Menschen gedacht, die Erfahrung aus der Umweltbildung, aber bisher keine Berührungspunkte mit Demenz hatten, erklärt Saskia Gladis.

Auszeit in der Natur für an Demenz Erkrankte

Was blüht denn da? Die Gäste der Naturparkführerinnen auf einer Wiese bei Rettersburg. Foto: Gottfried Stoppel

Beruflich war das bei Andrea Schad und Petra Klinger tatsächlich der Fall. Doch im privaten Umfeld, bei der eigenen Mutter, haben sie mit der Erkrankung schon Erfahrungen gesammelt. „Wir wollen etwas, das wir gut können, anbieten und unseren Gästen eine Auszeit in der Natur geben“, sagt Andrea Schad.

Deshalb hat sie an diesem Nachmittag neben ihrem Gartenhaus Tische und Stühle aufgestellt und alle Utensilien für einen gemütlichen Kaffeeklatsch im Schatten der großen Bäume vorbereitet. Die Vögel zwitschern, durch den Garten weht eine leichte Brise. Im Häusle stehen Geschirr und gefüllte Kaffeekannen bereit, das Highlight ist aber der gewaltige Hefekranz nach Tante Linas Rezept. „Kulinarik gehört unbedingt dazu, das haben wir bei unserer Weiterbildung gelernt“, sagt Andrea Schad.

Alzheimer Gesellschaft bildet Demenzbotschafter aus

Das weitere Programm beschreibt sie folgendermaßen: etwas Bewegung, ein bisschen gemeinsames Singen und Schwätzen, und zwar im Freien an einem schönen Ort. „Wir haben uns kein festes Ziel gesetzt, sondern passen unser Programm an die Leute an und machen, was möglich ist“, sagt Schad und fängt dann an, Postkarten aus buntem Karton an die Gäste zu verteilen.

Letztere sind mit einem Kleinbus aus Stuttgart angereist und Mitglieder der Birkacher Kaffeerunde, die sich zwei Mal wöchentlich nachmittags für drei Stunden trifft. Die Teilnehmer werden zu Hause abgeholt und nach dem Treffen wieder heim gebracht, berichtet Susanne Gittus, die die Gruppe leitet. Sie sagt, der Fahrservice verschaffe den pflegenden Angehörigen noch eine zusätzliche halbe Stunde Freizeit.

Die Kaffeerunde existiert seit mittlerweile 33 Jahren und war die erste ihrer Art in ganz Deutschland. „Die Gruppe wurde von pflegenden Angehörigen gegründet. Derzeit sind unsere Gäste zwischen 71 und 94 Jahre alt“, erzählt Susanne Gittus. Das Angebot in der Natur bringe für die Teilnehmer eine ganz andere Aktivierung mit sich als das übliche Programm: „Und sie spüren Kälte, Wärme und den Wind.“

Naturerlebnisse für Demenzerkrankte

Herr R. gehört zu den jüngeren Gästen. Entspannt sitzt er auf einem Gartenstuhl, den jemand an einem schattigen Platz am Rande der Wiese platziert hat. Am Stuhl lehnt ein Spazierstock, auf der Nase trägt der Mann eine Sonnenbrille. Er genießt die Aussicht ins Grüne und kommentiert nebenbei humorvoll das geschäftige Treiben rund um sich. Etwa zehn Männer und Frauen streifen mit gesenktem Blick herum, immer wieder bückt sich jemand und pflückt eine Blume.

Herr R. lässt pflücken: Annegret Grüninger nämlich, die als Ehrenamtliche bei der Birkacher Kaffeerunde mithilft. Nun sucht sie fleißig Blüten und bringt sie Herrn R., der sie auf der von den Gastgeberinnen mit Klebeband präparierten Postkarte arrangiert und festklebt. Nach und nach entsteht so eine bunte Blumenwiese im Kleinformat. Ihr Schöpfer mustert sein Werk mit zufriedenem Blick: „Das sieht doch wirklich gut aus!“

Danach geht es zurück in den Garten – der Kaffee ruft. Während Petra Klinger und Andrea Schad alles vorbereiten, schnippeln die Gäste Erdbeeren für einen Fruchtquark. Danach wird geschmaust und gesungen, manche gehen mit Begleitung spazieren. Ein Nachmittag mit vielen Eindrücken, sagt Susanne Gittus: „Unsere Gäste werden zu Hause ein bisschen etwas erzählen und dann vermutlich todmüde ins Bett fallen.“