Auf Wurzelsuche: Bruce Springsteen Foto: Sony

Bruce Springsteen lässt die Gitarre zuhause und hat ein Album voller Soul-Cover aufgenommen. „Only The Strong Survive“ zeigt den Boss bei der vielleicht besten Gesangsleistung seiner Karriere.

Es muss am Alter liegen: Mit zunehmender Wegstrecke besinnen sich auffallend viele große Künstler auf das, was sie am meisten geprägt hat: die Musik ihrer Kindheit und Jugend. Kiss-Fratze Paul Stanley huldigte mit „Now And then“ erst vergangenes Jahr den Soul-Helden seiner Jugend; jetzt begibt sich auch der große Bruce Springsteen auf Wurzelsuche.

Sicher hat das einerseits mit Nostalgie zu tun, der treusten Gefährtin des Älterwerdens – Springsteen ist 73, da schaut er auf mittlerweile sechs Dekaden Karriere zurück. Aber auch mit dem guten Gefühl, sich nichts mehr beweisen zu müssen. Was sollte einer wie Bruce Springsteen auch noch zu tun haben, nach 150 Millionen verkauften Platten, 20 Grammys und einem Oscar? Und außerdem: Wer wird sonst noch „The Boss“ genannt?

Nein, Springsteen hat die Pflicht abgeschlossen, lange schon – und kümmert sich jetzt um die Kür. Ein Album voller Soul-Cover hat er aufgenommen, um das große amerikanische Songbook auf seine Weise zu ehren. „Only the Strong survive“ hat er dieses 21. Studioalbum genannt, in Anlehnung an den Jerry-Butler-Song aus den Sechzigern. Dieser bittersüße Coming-of-Age-Klassiker eröffnet die Platte dann auch, bereitet das Feld für gute 50 Minuten Soul vom Boss.

Das Besondere an „Only the Strong survive“ wird schon im Opener deutlich: Bruce Springsteen gibt hier erstmals nur den Sänger. Er lässt seine Gitarre bewusst zu Hause, ganz der Crooner hinter dem Mikrofon, tänzelnd, fingerschnippend. Auf einer Bühne kann man sich das nicht so recht vorstellen, da wirkt der Boss praktisch verwachsen mit seiner Gitarre, er würde seltsam nackt aussehen ohne sein Instrument.

Im Kontext dieses Cover-Albums funktioniert es meistens sehr gut. Es ist fraglich, ob Springsteen jemals so beseelt, so sorglos und unbeschwert gesungen hat wie auf „Only the Strong survive“. Weltbekannte Songs wie „Nightshift“ von den Commodores oder „The Sun ain’t gonna shine anymore“ von den Walker Brothers funktionieren interessanterweise etwas weniger gut als eher unbekannte Preziosen der Motown- oder Stax-Ära, klingen ein bisschen wie Bruce Springsteen in einer Karaokebar. Vielleicht, weil man sie schon so oft gehört hat.

Überwiegend entwickelt das Material aber ein wunderbares Eigenleben. Gemeinsam mit den E Street Horns, hinter der natürlich Teile seiner E Street Band in einem Soul-Kostüm stecken, und an der Seite von Soul-Legende Sam Moore spielt er die Songs nicht nur nach; sondern gibt ihnen einen Teil von sich selbst mit. Springsteen singt diese Songs entfesselt, liebt diese Songs, kennt diese Songs auswendig, das merkt man. Seine Fassungen sind feierliche Tribute an seine eigene musikalische Sozialisation und die amerikanische Musik an sich.

Auch das bringt das Älterwerden mit sich: Man möchte etwas zurückgeben. Beim Boss waren es diese 15 Songs, die einen Jungen aus New Jersey dazu gebracht haben, selbst Musik zu machen. Und obwohl Springsteen stets eher im Heartland Rock verwurzelt war; den Soul, den trug er immer bei sich. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis ein Album wie „Only the Strong survive“ erscheinen würde.

Only the Strong survive. Columbia/Sony Music