Selbst ist die Frau: Beyoncé gibt sich angriffslustig. Foto: Parkwood Entertainment

Paartherapie der besonderen Art: Beyoncé rechnet auf ihrem exzellenten neuen Album „Lemonade“ mit ihrem Ehemann ab.

Stuttgart - Wie schön, wenn man von Künstlern mal wieder richtig überrascht wird. Ein neues Album von Beyoncé hätte man dort vermutlich nicht dazu gezählt. Harmlose R’n’B-Musik für den Mainstream, hergestellt mit gewiss einigen prominenten Gästen und der dazugehörigen Güteklasse, aber doch in erster Linie auch mit merkantilem Blick.

Schließlich wurde dieses Album am vergangenen Samstag zunächst „aus heiterem Himmel“ (was als vollmundige Ankündigung in solchen Fällen selbstverständlich Teil der Marketingstrategie ist) ausschließlich beim Streamingdienst Tidal zur Verfügung gestellt, der zwar übertragungstechnisch einerseits löblicherweise für eine herausragende Klangqualität steht, andererseits aber natürlich den potenziellen Kundenkreis streng auf seine Abonnenten limitiert. Und der, wie es der Zufall will, mehrheitlich ihrem Ehemann Jay-Z gehört (der das Unternehmen, so viel nur am Rande zu den Einkommensmöglichkeiten für Berufsmusiker, vor einem Jahr für 56 Millionen Dollar kaufte) – und in weiteren Anteilen auch einer Sängerin namens Beyoncé Giselle Knowles-Carter.

Ehemann kriegt sein Fett weg

Jener Dame, die mit der Girlieband Destiny’s Child, unter ihrem zeitweiligen Künstlernamen Sasha Fierce und aktuell nur unter ihrem Vornamen rund zweihundert Millionen Tonträger verkauft hat und ihre letzten sechs Soloalben allesamt auf Platz eins der amerikanischen Billboardcharts platzieren konnte. Doch jetzt wird’s richtig interessant. Denn nur eine Woche später ist dieses Album nun auch als CD im Plattenhandel erhältlich, und es verfügt über ein starkes Leitmotiv: nämlich die konsequente Abrechnung mit Shawn Corey Carter, besser bekannt als Rapper Jay-Z und Gatte von Beyoncé.

In dieser Funktion neigt er offenbar zu eheungebührlichem Seitensprungsverhalten, und dafür kriegt er auf „Lemonade“ ordentlich sein Fett weg. Er wird beschnauzt und angeklagt, er dient jedoch nur als Blaupause für Beyoncés eigentliches Sujet dieses Albums: zum einen der Anklage eines testosterongesteuerten Behaviorismus, zum anderen der Dominanz weißer Männer in allen gesellschaftlichen Bereichen der USA. Dieses Album – mit der dazugehörigen visuellen Umsetzung auf einer beigefügten DVD – ist, und das wäre die erste Überraschung, ein überzeugendes, nachdenklich machendes, eindringliches, eminent wortstarkes Statement für den Feminismus und die Gleichberechtigung. Da wird urplötzlich eine Maske fallen gelassen, da bröckelt die ganze Glamourfassade herunter, da zeigt sich eine Künstlerin als der empfindsame Mensch, der er ist. Hut ab, allein schon dafür.

Abrechnung mit Ehemann Jay-Z

Die zweite Überraschung ist die fulminante Klasse der Musik. Zu hören ist auf „Lemonade“ eben kein massenkompatibel glattpolierter und braver R’n’B-Sound. Beyoncé huldigt in einigen Stücken dem lebensbejahenden Duktus dieser wirkmächtigen Spielart der Popmusik, lässt das Blech tröten und die Tasten orgeln. Doch sie kann und will auch anders. Exemplarisch dafür steht etwa „You hurt yourself“, ein verstörender und hier angesichts seiner drastischen Verse leider nicht zitierfähiger Sprechgesang, den sie mit dem nicht gerade für seine Hip-Hop-Affinität bekannten Jack White von den White Stripes eingespielt hat. Und noch exemplarischer steht da das fantastischste Lied dieses Albums, „Daddy Lessons“, ein klangsatter Traum von Ohrwurm, mit dem Beyoncé trotz des harschen Texts so mühelos wie turmhoch den Eurovision Song Contest gewinnen würde. Ein neuer Popklassiker wird das, fraglos.

James Blake und Kendrick Lamar als Gäste

Überraschend gitarrenlastig gerät dazu, auch das mag erstaunen, der weite Rest des Albums, Beyoncé sampelt Led Zeppelin, begrüßt erwartungsgemäß illustre Gäste wie James Blake oder den Shootingstar Kendrick Lamar, mit dem sie das echt wuchtige „Freedom“ einsingt, backgroundsängerstark und fein bläsergeschwängert. „Lemonade“, eines der gewiss stärksten Alben des noch jungen Jahres, vorgelegt von einer Künstlerin, die sich trotz der offenkundigen Unbilden auf dem Zenit ihres Könnens befindet, verblüfft mit seiner Vielseitigkeit, ohne eine Sekunde disparat zu klingen. Es überrascht mit immer neuen Volten und Einfällen; wer bisher dachte, dass Popmusik dieser Kragenweite ohne näheren inhaltlichen Anspruch daherkommt, der kriegt ebenso wie Jay-Z eine in jeder Hinsicht hübsche Lektion erteilt.